Foto: "Lucio Silla" bei den Salzburger Festspielen. Rolando Villazón (Lucio Silla) und Eva Liebau (Celia) © Matthias Baus
Text:Georg Rudiger, am 29. Juli 2013
Dieser „Lucio Silla“ beginnt im Orchestergraben – mit vitalen Trillern, farbigen Naturhörnern und glasklar artikulierenden Streichern. Das, was Marc Minkowski mit seinen fabelhaften „Musiciens du Louvre Grenoble“ in der dreiteiligen Ouvertüre der frühen Mozartoper verspricht, kann er den ganzen Abend halten. Lebendig und detailverliebt, aber auch auf große Zusammenhänge achtend ist diese Mozart-Interpretation. Minkowski lässt den Orchesterklang in den Ombraszenen ganz fahl werden, um dann wieder punktgenau das Geschehen mit klanglich fokussierten Attacken zu beleben. Das vorzügliche Solistenensemble trägt er auf Händen. Dennoch ist es ein wenig frech, wenn er am Ende der Aufführung im Haus für Mozart einige Instrumentalsolisten aufstehen lässt, bevor sich Rolando Villazón und seine vier Kolleginnen den lautstarken Applaus des Salzburger Premierenpublikums abgeholt haben. Denn diese Produktion, die bereits bei der Salzburger Mozartwoche im Januar zu sehen war, ist auch ein Fest des Gesangs. Allen voran brilliert Olga Peretyatko als selbstbewusste, dem Drängen Lucio Sillas widerstehende Giunia. Die fein ziselierten Koloraturen der russischen Sopranistin sind nie Selbstzweck, sondern immer Träger des Ausdrucks. Und wenn sie in der langen Kadenz am Ende ihrer großen Arie „Ah se il crudel periglio“ die gesamte Tessitura ihrer Stimme in einem Takt durchmisst, dann erzählt sie viel von dem Stolz und der Stärke dieser unerschütterlichen Frau, die wie ein Fels in der Brandung steht und ihrem Geliebten Cecilio immer treu bleibt. Dieser wird von der französischen Mezzosopranistin Marianne Crebassa mit einer Tiefe beschenkt, die immer die Contenance behält. Überhaupt mischt sich ihr geschmeidiger Mezzo hervorragend, ohne dabei an Profil zu verlieren. Nur in der Höhe gerät gelegentlich die Intonation aus der Spur. Inga Kalna als ein Lucio Cinna mit Ecken und Kanten und Eva Liebau in der Rolle der harmonieliebenden Schwester Celia machen Rolando Villazón in der Titelpartie das Leben leicht. Dieser braucht ein wenig Zeit, ehe er in den Abend kommt. Besonders im Passagio, dem von Mozart häufig verwendeten Übergang zwischen Brust- und Kopfregister, wird sein Tenor ein wenig dünn und unausgeglichen. Aber spätestens bei seiner letzten, eingeschobenen Arie „Se al generoso ardire“ von Johann Christian Bach, die er fast im Orchestergraben singt, glänzt Villazón mit großem Ausdruck und feinem Legato.
Dass dieser „Lucio Silla“ schließlich doch kein großer Musiktheaterabend wird, liegt an der historisch vermeintlichen korrekten, blutleeren Inszenierung von Marshall Pynkoski. Die Kulissen von Antoine Fontaine entfalten keinerlei Spannung. Auch das vom Regisseur immer wieder auf die in Brauntönen gehaltene Bühne geschickte Ballett liefert Dekoration statt Interpretation (Choreographie: Jeannette Lajeunesse Zingg). Die gesamte Geschichte von der wundersamen Wandlung eines Diktators wird zwischen Bäumen und Säulen, Toren und Treppen im Halbdunkel erzählt (Licht: Hervé Gary). Und verliert allein dadurch viele Nuancen. Zumindest in der Personenführung hat Pynkoski ein glücklicheres Händchen, wenn er die in edle Stoffe gekleideten Figuren (Kostüme: Antoine Fontaine) sehr körperlich agieren lässt, die Geschichte in den Arien durch klare Bewegungen weitererzählt und bestimmte Gesten gehalten werden, die etwas über die seelische Verfassung der Protagonisten aussagen. Das Salzburger Premierenpublikum klatscht ausdrücklich auch bei der Regie. Und ist froh, dass sich nach dem spröden „Gawain“ mit „Lucio Silla“ endlich ein wenig Glanz bei den Festspielen ausbreitet.