Foto: Vasco, der Mann, der die Welt eroberte. © Dieter Wuschanski
Text:Jörn Florian Fuchs, am 4. Februar 2013
Handeln wir das Vorgeplänkel rasch ab: Giacomo Meyerbeer (1791 – 1864) wuchs in Berlin auf, spielte früh Klavier, reiste fleißig durch die damalige (Opern)Welt, vor allem nach Italien, und landete schließlich in Paris als sehr erfolgreicher Schöpfer monumentaler Werke. Er war Jude, wohlhabend, innovativ und wurde bald frenetisch gefeiert. Für einen weiteren bedeutenden komponierenden Zeitgenossen gab es damit gleich vier Gründe, Meyerbeer zu hassen. Dieser Tonsetzer hört auf den Namen Richard Wagner, seine anfängliche Bewunderung schlug rasch in aggressive Ablehnung um. Meyerbeers Musik sei „Wirkung ohne Ursache“, so Wagners absch(l)ießendes Diktum. Was folgte und bis weit in unsere Zeit hinein reicht, ist große Skepsis gegenüber Meyerbeer.
Meyerbeers letzte Oper trägt den Titel „L’Africaine“ und wird gelegentlich gespielt, der Komponist selbst hat sein Werk nicht mehr auf der Bühne erlebt, weil er einige Monate vor der Pariser Uraufführung starb. Auch (Star-)Librettist Eugène Scribe war da bereits tot. Scribe und Meyerbeer schufen ein gewaltiges Spektakel um den portugiesischen Eroberer Vasco da Gama, lassen ihn Schiffbruch erleiden, wegen Amtsbeleidigung einkerkern und zwischen zwei Frauen hin und her taumeln: der wohlbehüteten und gutbetuchten Inès und der schwarzen Sklavin Sélika. Letztere tritt oft im Doppelpack mit dem ebenfalls schwarzen, versklavten Nélusko auf, der Vasco zu ermorden versucht, am Ende aber freiwillig stirbt, als sich Sélika vergiftet, weil sie Vascos Liebe nicht bekommen kann. Da sind alle mittlerweile von Lissabon nach Indien (was hier mit Augenzudrücken als Afrika durchgeht) gereist, zwischenzeitlich gekentert, und Sélika entpuppt sich urplötzlich als Prinzessin. Starker Tobak ist das, den Jakob Peters-Messer in Chemnitz erst etwas statisch, dann zunehmend wirkungsvoll in Szene setzt. Weil es sich bei „Vasco de Gama“ (so heißt „L’Africaine“ in dieser Fassung) um eine veritable _Grand Opéra_ handelt, fehlt natürlich auch das Ballett nicht. Anke Glasow verdoppelt oder kommentiert in ihrer Choreographie die Handlung recht geschmackvoll.
Und die Musik? Die braust unter der kundigen Leitung des Chemnitzer Generalmusikdirektors Frank Beermann mächtig auf, wobei Beermann nicht jede Möglichkeit zum triumphalen Knalleffekt nutzt, oft bewusst eine mildere Gangart wählt. Dadurch werden feinste Klangmischungen hörbar. Es gibt singende Flöten, exotisch knisternde Flächen, frappierende rhythmische Auftürmungen. Und man merkt, wo sich Kollegen Meyerbeers für ihre Stücke bedient haben, von einschlägigen Italienern über Bizet bis zu Wagner. Heute wäre so ein Kopieren und Einfügen sicher justiziabel und würde ganze Anwaltschaften in Lohn und Brot halten.
Frank Beermann gelingt eine nahezu perfekte Umsetzung der komplexen Partitur, der Musikwissenschaftler Jürgen Schläder hat aus dem gesamten Notenmaterial eine so noch nie zu hörende, mit Pausen knapp fünfeinhalbstündige Fassung erstellt.
Recht ordentlich waren die von Simon Zimmermann einstudierten Chöre, durchgehend exzellent das Solistenensemble. Bernhard Berchtolf meistert die ungeheuren Anforderungen der Titelpartie mit Ausdauer und Schönklang, Guibee Yangs jugendlich-glasklare Inès ist ebenso eine Wucht wie Claudia Sorokinas formschön schmachtende Sélika und der grimmig brummende Nélusko von Pierre-Yves Pruvot. Seine Rolle rutscht übrigens szenisch immer mal wieder in den Buffo-Bereich, was Musik und Text vermutlich so nicht intendierten. Im eher kargen Bühnenbild von Markus Meyer werden die Sklaven anfangs in einem Glaskasten zur Schau gestellt, später befindet dort eine Pflanze, an deren Duft beide sterben. Videoeinblendungen deuten die jeweiligen Spielorte an. Die sehr unterschiedlichen Frauen nähern sich einander im Laufe des Abends nicht nur kleidungstechnisch zunehmend an – ein schöner Kommentar zu Fremdheitsstereotypen.
Erfreulicherweise wird „Vasco de Gama“ auf CD festgehalten. Wenn man Relevanz und Umfang dieses Projekts betrachtet, so darf man mit Fug und Recht von Chemnitz als einem sächsischen Paris sprechen. Den reizvolleren Spielplan (was Neuproduktionen betrifft) als die von Nicolas Joel geleitete Opéra de Paris hat Chemnitz ohnehin.