Foto: "Todesstation" nach Susan Sontag am Schlosstheater Moers. © Christian Nielinger
Text:Andreas Falentin, am 23. März 2012
Im Rahmen des dramaturgischen Schwerpunktes „Über-Gehen“, einer Projektreihe zu ‚Lebensgrenzen, Todesbildern und Abschiedskultur‘ hat Hausherr Ulrich Greb Susan Sontags experimentellen Roman von 1967 erstmals für die Bühne bearbeitet und inszeniert. Sontag, dreißig Jahre lang die amerikanische Vorzeige-Intellektuelle, hielt Form und Stil gegenüber Inhalten für unterbewertet. Sie vertrat zudem einen abstrakten, geistigen Wirklichkeitsbegriff, der sich prinzipiell nicht auf sinnliche Wahrnehmungen stützen kann, da diese nicht objektivierbar sind. Das hat zur Folge, dass „Todesstation“ keine eindeutig festlegbare Handlung hat – und scheinbar wenig dramatische Substanz.
Im Mittelpunkt des Spiels steht Diddy („Did he?“), der beziehungslos durchs Leben taumelt und – wahrscheinlich – einen Selbstmordversuch hinter sich hat. Während einer längeren Zugfahrt lernt er – vermutlich – die blinde Hester kennen und bringt – vielleicht – in einer labil-aggressiven Aufwallung einen Gleisarbeiter um. Diddy gibt seine Arbeit auf und zieht mit Hester zusammen. Beide leben nur aufeinander bezogen. Das Ende scheint anzudeuten, das alles nur ein Traum während des Selbstmordversuches war. Der letzte Satz erscheint als Verheißung und Fluch gleichermaßen: „Und Diddy geht weiter.“
Zu Beginn sitzen die sechs Schauspieler an Tischen, voneinander getrennt durch halbtransparente Vorhänge, wie in Sprecherkabinen. Nur dass über ihnen keine Mikrofone aufgehängt sind, sondern digitale Camcorder, deren Aufnahmen auf den Schleier produziert werden, der Bühne und Publikum trennt. Aus dieser Grundanordnung organisiert Ulrich Greb das Spiel, vermeidet klug jeden Realismus und lässt sich in der theatralischen Umsetzung von Sontags Theorien leiten. So wird der Text nie mit Bedeutung aufgeladen, sondern es werden ihm Haltungen entgegen gesetzt. Oder er wird einfach gesprochen, oft mit großer Schönheit. Die bewegten, von den Schauspielern mit den Kameras live produzierten Bilder folgen Prinzipien der Fotografie. Durch genaues Untersuchen der Oberfläche dringen sie in diese ein, objektivieren scheinbar die subjektive Sinnlichkeit, sei es als Ausschnittvergrößerung oder Überblendung von Händen, Augen oder totem Material.
Im Lauf des gut zweistündigen, pausenlosen Abends wandelt sich das Sprechoratorium zum Spiel der Körper. Die Projektionen werden – wörtlich – in die Ecke gedrängt. Die Tische verschwinden im symmetrischen Labyrinth bewegter Vorhänge. „Entfremdung“ heißt das Zauberwort. Wenn es keine gemeinsamen Wahrheiten und/oder Wirklichkeiten gibt, wenn Erfahrungen per se nicht teilbar sind, ist der Mensch fürchterlich allein. Umgeben vom Rauschen der Bilder, mit Sichtlinien, die sich ständig verändern, stirbt er, mit der Verarbeitung überfordert, ab, geistig und emotional. Greb und sein vorzügliches Ensemble visualisieren das in alptraumhaft sachlichen Bildern und Klängen.
Am Ende ist der Raum ganz ausgeleert, gefüllt nur noch von den Körpern der Schauspieler, die immer näher zusammen rücken, sich etwa in einem berührenden Bild in einer Linie aneinander klammern, eine Polonaise der Zärtlichkeit. Besonders Frank Wickermann als Diddy und Jakob Schneider in der „Rockrolle“ als Hesters Tante setzen Sontags Gedanken spürbar eigene Widerstände entgegen und bringen so ihre Texte zur – manchmal auch komischen – Explosion. Mit bestechender ästhetischer Konsequenz und künstlerischer Konzentration ist in Moers eine dringliche, Susan Sontags Ideen und Ansichten produktiv und phantasievoll verarbeitende Aufführung gelungen. Die grundsätzliche Bühnentauglichkeit von „Todesstation“ darf allerdings bezweifelt werden.