Foto: Szene aus „Siegfried” © Martin Kaufhold
Text:Konstanze Führlbeck, am 24. Februar 2025
Der Science Fiction „Ring“ im Saarländischen Staatstheater geht weiter: Das Regie-Duo Alexandra Szemeredy und Magdolna Parditka zeigt Wagners „Siegfried“ in einer dystopischen Szenerie. Dirigent Sébastien Rouland erschafft transparente Klänge.
Das Experiment von Wotans „WLHLL- Laboratories“ geht in die nächste Runde, der Prototyp „Siegfried“ ist aktiviert. Zunächst scheint der Plan des (Ex-)Göttervaters aufzugehen: Siegfried, mit jungenhaftem Charme, aber auch Nachdenklichkeit verkörpert von Tilmann Unger, funktioniert ganz wie gewünscht. Es gelingt ihm, Notung, das zertrümmerte Schwert seines Vaters Siegmund, neu zu schmieden und den Riesen Fafner (Markus Jaursch) zu töten.
Sehr feinfühlig gestaltet das Regieteam Alexandra Szemeredy und Magdolna Parditka die Auseinandersetzung Siegfrieds mit seinem Ziehvater Mime (Paul McNamara) in einem cleanen, schwarz-weiß gekachelten Laborambiente, als er dem widerwillig Antwortenden das Geheimnis um seine Herkunft abringt. Die Worte „war ist wird“ ziehen sich über Wände. Bilder aus der Vergangenheit mit dem „Gemini program“ ploppen immer wieder auf großen Computermonitoren auf, werden auch in der transparent gestalteten Klangwelt des Orchesters lebendig.
Schwarz-weißes Laborambiente
Das bereits aus „Rheingold“ und „Walküre“ bekannte Schachspiel mit seinen schwarzen und weißen Figuren versinnbildlicht die intellektuelle Auseinandersetzung zwischen dem zum Wanderer gewordenen Wotan (Simon Bailey), die der sich betont distanziert und zynisch gebende (Ex-)Göttervater für sich entscheiden kann. Während das Wotan-Control Program abläuft, vollzieht das sehr flexibel agierende Saarländische Staatsorchester diese „Wissens-Wette” in plastisch-bewegten Klängen nach.
Wie determiniert alle Akteure im Grunde sind, machen DNA-Strukturen in leuchtendem Blau deutlich. Der „freie Wille“ ist eine Illusion, die Grenzen zwischen realer und virtueller Welt verschwimmen und werfen die Frage auf, ob hier Menschen oder Transhumaniden handeln. Das Schmieden des Schwertes passiert unter dem Passwort Notung, Bilder von Siegmund und Sieglinde sind zu sehen, während Tilmann Ungers schlank geführter und doch voluminöser Tenor voller Strahlkraft bezaubert.
Wotans Kontrahenten Alberich (Werner van Mechelen), der seinerseits an einer großen Tafel die Formeln des Experiments weiterschreibt, künden dunkle Klänge an. Der ironische Schlagabtausch der beiden Gegner kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Ball jetzt bei Siegfried liegt, sie sind längst in die zweite Reihe gerückt.
Fast kammermusikalische Transparenz
In bezwingender kammermusikalischer Transparenz gestalten Sebastien Rouland und das Staatsorchester das idyllische „Waldweben“; in einer scheinbar paradiesischen virtuellen Welt tollen dabei Siegfrieds Eltern herum.
Dumpfes Grollen kündet Fafner (Markus Jaursch) an, der neben einem baufälligen Holzgerüst auftaucht, umgeben von Versionen der Rheingold-Götter. Auch er ist ein Experiment, sein pochendes Herz ist ausgelagert, doch Siegfried erkennt es schnell. Nach Fafners Tod kann er die Stimme des Waldvogels (Bettina Maria Bauer) verstehen, der mit seinem Partner frappierend Siegfrieds Eltern ähnelt und ihm von der schlafenden Brünnhilde (Aile Asszonyi) berichtet.
Die Auseinandersetzung Wotans mit der Urmutter Erda (Melissa Zgouridi) kommentieren unruhig-erregte Klänge. Er holt sie aus dem REM-Schlaf zurück, um ihr Wissen „anzuzapfen“, das noch ihre einzige Existenzberechtigung darstellt. Doch sie hat keine Antwort mehr für ihn, während er noch einmal herrisch auftrumpft: Weißt du, was Wotan will? Aber seine Macht wird von Siegfried gebrochen: Er schiebt Wotan beiseite und hackt sich auf der Suche nach Brünnhilde (Aile Asszonyi) durch die von Wotan errichtete Firewall, die auf einem großen Monitor sichtbar wird. Dort findet er als Lösung eines Schachspiels das Passwort und befreit Brünnhilde so aus dem Ruhemodus ihrer Laborexistenz neben Versionen aus dem Kosmos der Rheingold-Götter. Das eruptive Aufschrecken Brünnhildes singt und spielt Aile Asszonyi mit warmem, leuchtenden Sopran ebenso mitreißend wie ihre Hingabe an Siegfrieds Begehren.
Noch stringenter als in „Rheingold“ und „Walküre“ überzeugt der Zugriff von Alexandra Szemeredy und Magdolna Parditka hier: Sie entwerfen ein dystopisches Szenario einer Welt, in der Künstliche Intelligenz zunehmend Kontrolle über das Leben übernimmt, die den Experimentleitern entgleitet. Auch musikalisch ist der Saarbrücker „Siegfried“ ein absolutes Highlight, neben dem transparenten Orchesterklang fesseln die Sänger-Darsteller sowohl szenisch als auch stimmlich mit packenden Rollenporträts.