Foto: Anna Peshes, Angus Wood, Alexey Antonov und Pavel Shmulevich in Mussorgskis „Chowanscht-schina“ am Theater Dessau. © Claudia Heysel
Text:Joachim Lange, am 17. Mai 2011
Mussorgskis Volksdrama „Chowanschtschina“ ist vor allem eine gewaltige Chor- und Männeroper. Ob nun in der Orchestrierung von Rimski-Korsakow oder (wie in Dessau verwendet) von Schostakowitsch samt des Finales von Stravinsky. GMD Antony Hermus hat für dieses russische Großformat den Sinn fürs Detail und die Kraft zum großen Überblick, um damit zu überzeugen. Auf den übergroßen Chor bringt man es durch die Kooperation mit dem Weimarer Nationaltheater. Chefregisseurin Andrea Moses stürzt sich bei ihrer Abschiedsinszenierung in dieser Position entschlossen auf die szenischen Details und die Charakterisierung der Figuren und erzählt das Historienpanorama als Ganzes in seiner Relevanz für die Gegenwart.
Christian Wiehles offene Bühnenästhetik schöpft aus dem Vorrat russisch-sowjetischer und postsowjetischer Bilder. Da ist die Basilius-Kathedrale mit Coca-Cola Reklame zugepflastert. Da kommt das Palais des Fürsten Golizyn (Angus Wood) als Sitzgarnitur mit Schreibtisch hoch oben auf einem riesigen russischen Bären daher. Da wird die Strelitzen-Vorstadt zu einem modernen Hochhausblock aus dem sich die Umrisse der Kathedrale wie im Schnittbogen abheben. Da kommt der Intrigant im Dienste des Zaren Peter, Schaklowity (Ulf Paulsen) erst auf einer Gangway und unter der Büste des Sowjethelden Gagarin daher und landet dann sogar als Fallschirmspringer im Prachtbett von Iwan Chowanski (Alexey Anatonov), um ihn zu erdrosseln. Und da agiert Pavel Shumlevich als der vom Fürsten zum Mönch gewordene Dossifej mit großer Geste und Format an der Spitze eines imponierenden Ensembles.
Wenn sich am Ende die altgläubigen Fanatiker im Angesicht der anrückenden Truppen des Zaren selbst verbrennen, dann wird der tödliche Dampf, dem sie hier zum Opfer fallen, nicht zur Klippe einer gefährlichen Metaphorik, sondern demonstriert mit dem futuristisch stilisierten Riesenkreuz in der Mitte einen beängstigenden Triumph des Irrationalen. Richtig froh macht diese Pointe nicht. Wohl aber das Niveau auf dem in Dessau Musiktheater gemacht wird.