Kjersti Teverås (Haugtussa) inmitten des Ensembles

Dunkler Charme

Edvard Grieg, Arne Garborg,Thijs van Vuure: Haugtussa

Theater:Ruhrtriennale, Premiere:13.09.2024 (UA)Regie:Arbo, Eline

„Haugtussa“ ist der einzige, in Deutschland unbekannte Lied-Zyklus des norwegischen Komponisten Edvard Grieg. Auf der Ruhrtriennale wird diese Musik erstmals Theater.

„Haugtussa“, der einzige Liederzyklus von Edvard Grieg, ist nach der Aussage der Regisseurin Eline Arbo in Norwegen ein „Nationalheiligtum“. 1895 entnahm Grieg acht Gedichte aus dem gleichnamigen epischen Zyklus von Arne Garborg, sie werden in Norwegen von Sopran-Diven wie Kirsten Flagstad bis Lise Davidsen oft konzertant dargeboten.

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Haugtussa (übersetzt etwa: Trollmädchen) ist der Spitzname von Veslemøy, einer jungen Frau, die mit ihrer Mutter im südlichen Norwegen einen Bauernhof bewirtschaftet. Der Liederzyklus erzählt von ihrem harten Lebensalltag, vom Frühling und einer unglücklichen Liebe. Der Tonfall ist ungewöhnlich, nicht romantisch. Die norwegische Neo-Romantik mischt romantische Musik mit Symbolismus und Naturalismus, ist psychologisch aufgeladen, näher am Leben und auch fantasievoller als die deutsche Romantik. Diese in Deutschland unbekannten Lieder faszinieren auf Anhieb mit Wärme, Genauigkeit des Mitgefühls und abwechslungsreichen Melodien.

Nicht Grieg, sondern Garborg

Regisseurin Eline Arbo ging es aber nicht um Grieg, sondern um Garborg. Die „dunkle Seite“ von Veslemøy, ihre besondere Sensibilität, ihre Verbindung zur Natur, die (wohl eingebildete) Kommunikation mit magischen Wesen wie Trollen, hat Grieg in seiner Auswahl ausgespart. Arbo stellt sie ins Zentrum, hat dazu sogar von dem niederländischen Komponisten Thijs van Vuure eine Musik schreiben lassen, die oszilliert zwischen Volksmusik, Filmmusik und geräuschhafter Moderne. Diese wird vom Band zugespielt. Es ist der Musikalität der live performenden Pianistin Marita Kjetland Rabben und der Präsenz des non-binären Mezzosopranes Adrian Angelico zu danken, dass Griegs Lieder, aus der Zyklus-Reihenfolge gerissen, nicht zum Soundtrack werden.

Dunkle Bühne, ungekünsteltes Spiel

Die Bühne von Norunn Standel ist vor allem dunkel. Die Form des Raumes der Jahrhunderthalle ist Teil des Konzeptes: Der Spielraum ist strukturiert durch vertikale Lichtstangen. Am Anfang tritt das weiß gekleidete Ensemble singend auf, langsam schreitend. Haugtussa (Kjersti Tveterås) klettert schnell eine Treppe herunter, bringt die Gruppe durcheinander, wird deren Mittelpunkt. Tveterås spricht schnell, spielt koboldisch, fast comic-haft. Die norwegische Sprache, in der die Aufführung gesprochen und gesungen wird, gibt dem Abend – für uns Fremdsprachler – mit ihren vielen kurzen, vokaldominierten Worten, eine pittoreske, fast dadaistische Komik.

Den ganzen Abend beeindruckt, wie mit einfachen Mitteln und sehr ungekünstelt Theater gespielt wird. Dadurch steht die Geschichte im Mittelpunkt, so dass sie auch ohne Übertitel zu verstehen ist. Trotzdem ist eine Distanz vorhanden, auch durch die Ruhepunkte, die die acht Grieg-Lieder setzen. Komik wird genau gesetzt, zum Beispiel in der Erzählung des alten Paares über Jons späte Geliebte oder im Dialog über die Lieblingskuh, die durch einen großen Sitzsack dargestellt wird. Doch das Spiel tritt nie über die Ufer. Die große Liebesszene zwischen Veslemøy und Jon (Christian Ruud Kallum) etwa berührt sehr, wird realistisch ausgespielt, bleibt aber immer Theater. Das Timing ist zu spüren und wir sind trotzdem dabei.

Doch Grieg?

Wenn die Liebe vorbei ist, Jon war nur ein Verführer und heiratet eine reiche Frau, endet auch das Spiel. Ein Grieg-Lied noch, ein letzter Ruhepunkt, noch eine Auseinanderszetzung von Veslemøy mit dem Trollkönig, noch eine Begegnung mit dem fantastisch singenden, spielenden, tanzenden Ensemble. Das interessiert uns allerdings nicht mehr. Die Liebe ist vorbei, die Geschichte ist erzählt. Auf der Bühne ist Grieg offenbar stärker als Garborg.

Veslemøy und ihr hartes, fremdes Leben haben wir erfahren und genossen, aber die Geschichte, die wir gesehen haben, ist die einer sehr modernen, überhaupt nicht romantisch passiven, liebenden Frau. Von der „Kraft des Andersseins“, die Programmheft und Regisseurin als Zentrum der Inszenierung betrachten, ist diese spannende Theaterarbeit dennoch weit entfernt.

 

„Haugtussa“ in der Bochumer Jahrhunderthalle © Caroline Seidel