Foto: Isabelle Huppert als Bérénice © Alex Majoli
Text:Andreas Falentin, am 26. August 2024
Die französische Tragödie „Bérénice“ von Jean Racine verhandelt die Trennung zweier Liebender. Bei der Ruhrtriennale formt Romeo Castellucci den Fünfakter zu einem Monolog. Schauspielerin Isabelle Huppert feiert einen Triumph.
„Bérénice“ von Jean Racine gilt in Frankreich als größtes Drama in französischer Sprache, es verhandelt Leidenschaft und unerfüllte Liebe: Titus, der werdende römische Kaiser und die jüdische Prinzessin Bérénice begegnen sich und lieben einander, sozusagen grenzenlos. Sie beschließen, zu heiraten. Aber der römische Senat verfügt, dass der Kaiser keine ausländische Frau haben darf. Also platzt alles. Bérénice sucht Titus auf, sie findet ihn weinend und verlässt ihn trauernd und endgültig.
Symmetrie und Symbolik
Romeo Castellucci und Isabelle Huppert haben Racines sehr symmetrisches Stück zu einem Monolog in fünf Akten geformt. Im ersten, dritten und fünften spricht und spielt die Schauspielerin, im zweiten Akt wird die Machtübergabe an oder Krönung von Titus getanzt und gespielt, im vierten Akt eine patriarchische Welt dargestellt, hierarchisch und machtzentriert, mit christlichen Symbolen dekoriert. Die ganze, spartanisch bebilderte Inszenierung von Romeo Castellucci schwankt zwischen eleganter – das Spiel mit den Speeren im ersten, der verwelkende Blumenstrauß im letzten Akt – und sperriger Symbolik. Der Heizlüfter, der abgebildete Adler oder die Waschmaschine etwa sind nicht leicht zu deuten. Die Kostüme von Iris van Herpen, das Licht von Andrea Sanson und der Ton von Claudio Tortorici sind erlesen und passend. Die geräusch- oder soundlastige Musik von Scott Gibbons trifft oft das Spiel und verstärkt es, ist aber manchmal zu viel.
Der Regisseur sucht fühlbar das Geheimnis des Stückes. „Alles bleibt fest, gelähmt, immobil. Seine formale Schönheit jedoch ist wie schillernder und faszinierender Kristall“, schreibt Castellucci im Programmheft. Diese Schönheil verfehlt die Aufführung kunstvoll, abgesehen vom Spiel der Hauptfigur.
Die Schauspielerin Isabelle Huppert
Von erstem Moment an fasziniert die Schauspielerin Isabelle Huppert. Ihre Stimme tönt alt und jung, der Körper wirkt kraftvoll und zerbrechlich. Sie spielt ohne doppelten Boden mit unfassbarer Ausstrahlung, rennt nicht weg in die Kunst vor diesem Stück mit seinen großen Gefühlen, die sie ohne jeden Partner bewältigen muss. Sie stellt sich und hält es aus, belebt die vielen Verse mit gleichem Metrum und Paarreim. Ihre schauspielerischen Mittel wirken nicht spektakulär, aber sie sind sehr genau angewendet.
Bérénices Leid ergreift uns wie eine Welle, in vielen Nuancen, mit Pausen und Ausrufen, mit Trotz und vielfach abgestufter Trauer. Wir trauen uns kaum, auf die Nebentitel rechts und links der Bühne zu sehen (Huppert spricht französisch). Wir wollen bei ihr sein, zusehen, wie sie sich wälzt im Liebesleid und dabei immer schön bleibt. Wenn sie leise ihr „adieu“ haucht am Ende des dritten Aktes, weht es ins Publikum und füllt den Raum komplett aus. Der anschließende darstellende Tanz verpufft, weil uns die hier dargestellte Männer-Welt ohne Bérénice nicht interessiert. Als sie zum letzten Mal wiederkommt, im prächtigen Kleid, hat sie scheinbar ihre Kraft verloren, durch den Widerstand, den sie im Leben mit ihrer Liebe geleistet hat. Irgendwann stammelt sie nur noch, scheinbar endlos, hangelt sich quälend langsam, stockend, an den Versen entlang, aber gibt nicht auf. Ein großartiges und kaum auszuhaltendes Bild.
Die Inszenierung endet in Ironie. Den ganzen Abend war das Publikum von der Schauspielerin durch einen transparenten Vorhang getrennt. Oft hatte man den Wunsch, Huppert deutlicher wahrzunehmen. Jetzt steht sie da, und was sagt sie, zweimal leiser und einmal laut: „Ne me regardez pas!“ („Schaut mich nicht an!“). Sie schreit uns die Distanz ihrer Kunst ins Gesicht. Solches Theater muss auf der Bühne bleiben. Oder?