Foto: Die fünf Musiker:innen in Georges Aperghis „Die Erdfabrik” © Heinrich Brinkmöller-Becker
Text:Ulrike Kolter, am 12. August 2023
„Die Erdfabrik” als zweite Premiere der Ruhrtriennale treibt die Verschmelzung von Musik, Geräuschen und Sprache auf die Spitze. Damit bleibt sich der griechische Komponist Georges Aperghis treu. Gemeinsam mit dem Schriftsteller Jean-Christophe Bailly fordert er von seinem Publikum in einem 75-minütigen Rausch einiges.
Mit der Kunst ist es wie mit dem Leben: Sie kann uns manchmal ziemlich hilflos machen, hin- und herwerfen zwischen Ratlosigkeit und Erkenntnis, Heiterkeit und Verzweiflung über die Frage, was der Mensch hier überhaupt soll. So ist es auch mit dem neuen Musiktheater „Die Erdfabrik”, das der griechische Komponist Georges Aperghis gemeinsam mit dem französischen Schriftsteller Jean-Christophe Bailly für die Ruhrtriennale geschaffen hat. 75 Minuten hört und beobachtet man eine sonderbare Versuchsanordnung darüber, welche Klänge mit Stimme, Instrumenten und diversen Materialen zu formen sind. Einzigartig ist die nimmersatte Experimentierfreude, mit der Aperghis musikalisches Material und Geräusche fragmentarisch verbindet, mit Silben anreichert und dabei seine Musiker:innen theatral einbindet: Donatienne Michel-Dansac (Stimme), Christian Dierstein und Dirk Rothbrust (Perkussion), Marco Blaauw (Trompete) und Sophie Lücke (Kontrabass).
Bergbau als Thema des Ruhrgebietes
Ausgangspunkt für „Die Erdfabrik“ ist die Bergbau-Historie des Ruhrgebietes, der Kohleabbau tief im Erdinneren als symbolische Reise ins Dunkel der Naturgewalten. Sein Textmaterial nutzt Aperghis quasi als Silbenbergwerk. Hier sind das zwei Gedichte: Annette von Droste-Hülshoffs „Die Erzstufe“ und Jean-Christophe Baillys „Blindekuh“. Während die westfälische Dichterin ein herannahendes Gewitter mit Bergbau-Symbolik verknüpft, wird der Zeitgenosse Baillys klarer in seiner Sprache: „der Schacht vollkommener Nacht / vollkommen von sich selbst umhüllt / – wo sind wir?“ Ein Balanceakt ist es zwischen schrillsten Koloraturen, Hauchen und Sprechgesang, den die Sopranistin Donatienne Michel-Dansac vollführt, selten ganze Phrasen artikuliert, eher ihre Stimmbänder mit Wortfetzen beklettert.
Die Bühne (Nina Bonardi) wird dominiert von drei Monitoren – ein großer zentral, zwei links und rechts daneben hängend – die das Geschehen visualisieren. Stellenweise hat das die Anmutung von Live-Painting, wenn Schraffuren entstehen oder abstrakte Formationen, später dann Felshöhlen und ineinander gequetschte Strichmännchen, die wie Lemminge in Reih und Glied in die Tiefe springen (Video Design und Animation: Jeanne Apergis).
Klangrausch
So wird an Stahlketten gerasselt, in Schläuche geblasen und von Christian Dierstein und Dirk Rothbrust lautschrill mit eisernen Hämmerchen geklopft, während Sophie Lücke ihren Kontrabass malträtiert, dass einem Angst und Bange wird um dieses Instrument. Und im Strudel der visuellen und akustischen Reize weiß man oft gar nicht, wohin zuerst schauen. Oder wohin hören in dem brillant ausgesteuerten Klangteppich (Sounddesign: Thomas Wegner, Sebastian Schottke). „Wartest Du auf den Untergang der Welt?“ heißt es am Ende, wenn im Video Baumwurzeln sich Bahn brechen durch zugemauerte Tunnelgänge. Wird die Naturgewalt uns doch besiegen? Es bleibt allerdings das Gefühl, dass die Kunst dem Leben doch manchmal sehr fern ist.