Foto: © Katja Illner
Text:Anna-Luella Zahner, am 7. September 2024
Die Ruhrtriennale zeigt die Deutschlandpremiere von „FUTUR PROCHE“ des belgischen Choreografen Jan Martens. Man erlebt Tanz, der sich ebenso um die Frage nach der nahen Zukunft der Menschheit wie um die Cembalospielerin Gośka Isphording dreht – im wahrsten Sinne des Wortes.
„Weintrauben werden kernlos sein“ ist eine der „Vorraussagungen“ aus dem Jahr 1900, die während „FUTUR PROCHE“ auf die Leinwand projiziert werden. Dieser Satz scheint 2024 in Erfüllung gegangen zu sein. Der Choreograph Jan Martens (*1984), der erst mit 19 anfing zu tanzen, hat sich mit der Zukunft, genauer: der nahen Zukunft beschäftigt. Zurzeit leitet er im Team mit drei anderen Choreograf:innen das GRIP, eine Art nomadisches Kollektiv, das Stücke kreiert. Seit 2022 ist er zudem Residenzkünstler am Ballet Vlaanderen.
Seit seinem 2021 entstandenen Stück „any attempt will end in crushed bodies and shattered bones“ („Jeder Versuch wird in zerquetschten Körpern und zersplitterten Knochen enden“) hat er Cembalokompositionen für seine Arbeiten entdeckt. So auch in dieser Arbeit, die damit beginnt, dass 15 Tänzer:innen des Ballet Vlaanderen und zwei jugendliche Darsteller:innen auf einer langen Bank Platz nehmen, die dem Publikum parallel gegenüber steht. Sie dominiert das schlicht gehaltene Bühnenbild von Joris van Oosterwijk und trennt so den vorderen Teil der Bühne, in dem sich auch das Cembalo befindet, von dem hinteren.
Das Ensemble als heitere bis ernste Maschine
Mal lässig auf dem Boden sitzend mit einer Hand auf dem aufgestellten Knie oder einfach sitzend schaut das Ensemble uns an. Es hat etwas von der Atmosphäre eines Tanzstudios, gerade wegen der Anwesenheit des Instruments. Gośka Isphording läuft kurze Zeit später auf die Bühne, gesellt sich zur Gruppe und fängt an zu spielen. Pēteris Vasks (*1946) Kantate für Cembalo (1980) ist leicht aber präzise und die Tänzer:innen bewegen sich einzeln und tongenau, die Isphording produziert. Humor scheint durch die Gesten, der Hoffnung auf mehr macht, wir sehen Elemente des Street Dance, der Pantomime.
Das Cembalo spielt eine zentrale musikalische Rolle. Foto: Katja Illner
Der Tanz wird jetzt fast Menuett-artig und die Drehungen des Ensembles sind frei und sanft. Vor allem der junge Tänzer Rune Verbilt sticht hier mit brillianten Sprüngen und Geschmeidigkeit hervor. Beim genauen Hinsehen scheint ein Zitat von Anne Teresa de Keersmakers „Fase“ von 1982 sichtbar zu werden, in dem die Richtung des Körpers auf mechanisch wie schwungvolle Art immer wieder um 180 Grad gedreht wird. Martens lässt das Ensemble in Formationen tanzen, die wie eine Maschine aussehen (sogar mit jeweils einem Tänzer in allen vier Ecken, so dass sie sich wie Schrauben drehen). Dann wieder bewegen sie sich ausgelassen in einem Kreis um die lange Bank mit Isphording, bis die Bühne fast wie eine Trabrennbahn anmutet. Lässt die Musik sie tanzen oder ist die Musik der Ausdruck ihres Tuns? Die Formationen lassen an Tanzunterricht denken, andere wieder an Fritz Langs „Metropolis“, wenn die Tänzer:innen wie Arbeiter:innen an einem Fließband brav im Takt gehen.
Digitale Ebene und Kameraflirt
Dann wendet sich der Abend: Im nächsten Teil zieht sich Matthew Johnson zunächst die Hose und die Socken aus und beginnt eine Art Flirt mit der auf dem Boden liegenden Kamera Richtung Publikum, die „live“ auf die Leinwand zurückspielt. Weitere Tänzer:innen gesellen sich zu ihm und posieren ähnlich lasziv, werden aber immer wieder wie durch digitale „Glitches“ in der Bewegung „gestört“. Was interessant ist, weil es unheimlich wirkt, wird dann allerdings etwas langatmig. Was als AR/VR oder online Performance gut funktionieren könnte, gerät hier auf der Bühne, vor allem in einem Stück über die Zukunft, etwas matt.
Isphording spielt die für die Zuhörenden vielleicht akustisch herausforderndste Komposition des Abends – Erkki Salmenhaaras (1941 – 2002) Etüde für Cembalo (1969) in dem die Läufe auf dem Cembalo so schnell aufeinander folgen, dass ein fast sadistischer Klangteppich entsteht. Die Cembalistin und die Kamera versinkt von oben in den Tasten und wir versinken mit.
Klänge des Wassers
Das Publikum wird erlöst von einem gelben Licht und die Musik verstummt. Die trennende Bank wird demokratisch demontiert. Aus Eimern wird Wasser in einen großen schwarzen Bottich geschüttet und immer zu viert steigen sie in das große Taufbecken, waschen sich in denselben rituellen Bewegungen und erstarren dann in verschiedenen Posen.
Wir hören digital verfremdete Töne, die an Wasser, Wale und Sirenen erinnern. Aleksandra Grykas (*1977) „Yuomec für Cembala und Tonband“ in Zusammenspiel mit Brecht Beuselincks Sounddesign kann die exzellenten Lautsprecher der Jahrhunderthalle zu einem auditiven Feuerwerk bringen, dem man noch länger hätte zuhören können. Das Wasser und die Waschung der Körper ergibt ein Bild, das heilen, aber auch zerstören kann, ansteigen, verwüsten. So bleiben im Dunkeln Figuren stehen, die wie erfrorene Untote das Bild bevölkern. Der ästhetischste Moment ist sicher der, in dem der Verfolger die verschiedenen Körper mit dem Lichtkegel aus dem Dunklen „aufdeckt“.
Auch wenn die Cembalistin ebenso wie die Tänzer:innen einen vollen Applaus ernten, bleibt das Stück eine Annäherung: Es erreicht die Ohren, endet aber doch bei der Haut. Die Schönheit einzelner Elemente, wie auch der Elan der Tänzer:innen, die Präzision des Klangs berühren eher durch die Elemente an sich, lassen aber die innere Rührung zugunsten des Themas der Zukunft und uns als Menschheit nicht ganz zu.