Foto: Nannine Linnings "Cry Love" am Theater Osnabrück. © Kalle Kuikkaniemi
Text:Isabell Steinböck, am 14. November 2011
Tänzerkörper winden sich, zucken in der Luft; nur mit hautfarbener Unterwäsche bekleidet, wirken sie nackt und verletzlich. An den Füßen kopfüber aufgehängt, blicken die Performer auf ihr Publikum herab, das den Weg in den Zuschauerraum quer über die Bühne nimmt. „Cry Love“ ist der Titel von Nanine Linnings Tanzproduktion am Theater Osnabrück. 2007 hatte das Stück in den Niederlanden Premiere, jetzt ist es erstmalig in Deutschland zu sehen.
Gazevorhänge schließen die zehnköpfige Company ein, dienen als Projektionsflächen für Videos, die Körperteile in Großaufnahme zur Schau stellen. Mal sieht man nur Augen und Haare, mal fließt eine schaumige oder flüssige Masse an den Körpern herunter. Morbide wirken diese Figuren, als würden sie kurz davor stehen, sich selbst aufzulösen. Als Kontrast dazu sieht man Gesichter mit geschlossenen Augen und schlaffen, vorgehaltenen Händen, Bilder, die an Föten im Ultraschall erinnern. Dazwischen krabbeln und winden sich die realen Tänzer auf dem Bühnenboden, im Vergleich zum Video wirken sie zerbrechlich klein.
Die künstlerische Leiterin der „Dance Company Theater Osnabrück“ fasziniert durch Gegensätze: Nähe trifft auf Distanz, Geburt und beginnendes Leben auf Destruktion und Tod. Laut Programm geht es der Chefchoreografin um Unverfälschtes. Um Körper, die von Instinkten und Stimmungen getrieben werden oder um einander Liebende, die damit ringen, dass ihr Leben endlich ist.
Dramaturgisch drückt sich dies in spannungsvollen Gruppenchoreografien und Pas de deux aus, die mal Aggression und Zerstörung, mal hingebungsvolle Nähe abbilden. Tänzer zerren einander in die Weite, packen sich wie im Zweikampf am Genick, scheuchen oder tragen einander fort; ihre Gebärden sind roh und animalisch, der Tanz kraftvoll und athletisch. Frauen springen dem Partner rückwärts in die Arme, auf die Schultern oder auf den Rücken. Ein Liebespaar schnappt nach den Fingern des anderen; Fingerspitzen, ein Fuß tastet durchs Gesicht. In ihren ekstatischen, ehrlichen Gebärden scheinen die fast nackten Köper geradezu symbiotisch zu verschmelzen. Dazu passen die sphärischen Klänge des Komponisten Jacob ter Veldhuis, Beats im Takt eines Herzschlags, Atemgeräusche, bis sich am Ende der Kreislauf schließt und die Company wieder kopfüber hängt, regungslos, tot.
Im Zusammenspiel aus Video, Musik und Choreografie ist Nanine Linning mit „Cry Love“ ein eindringliches Tanzstück gelungenes, nicht zuletzt auch deshalb, weil es den Menschen in beklemmender Weise auf seine Ursprünglichkeit zurückwirft.