Foto: Büchner-Darsteller in Düsseldorf, vorne Judith Rosmair. © Sebastian Hoppe
Text:Detlev Baur, am 23. Oktober 2012
Nächstes Jahr ist Büchner-Jahr (der 200. Geburtstag) – da kann es nicht schaden, sich der Aktualität dieses (Theater-)Revolutionärs zu erinnern. Falk Richter tut das in seinem „Büchner“ genannten Projekt am Schauspielhaus Düsseldorf. Es beginnt mit einem Text aus der Erzählung „Lenz“ (Xenia Noetzelmann), bevor Szenen aus„Woyzeck“ auf der meist leeren Drehbühne (Katrin Hoffmann) das Spiel dominieren. Zuweilen werden sie mit Büchner-Briefen ergänzt. Das passt zur fragmentarischen Form des Dramas, wirkt aber auch etwas aufgeblasen, da „Woyzeck“ durchaus für sich selbst sprechen könnte. Zumal Thomas Wodianka ein starker Darsteller des gehetzten Außenseiters ist.
Das Projekt mit sieben (unterschiedlich überzeugenden) Darstellern entwickelt sich dann zunehmend von der alten, schlimmen Geschichte des Woyzeck zum allumfassenden Gegenwartsstück. Die Erbsen, die Woyzeck als menschliches Versuchskaninchen frisst (auch sein Wollpullover und die Stühle, die er hin und her schiebt sind grün), werden dann in chorisch-monologischer Anklage auf Afrika ausgeweitet: „Friss deine Erbsensuppe, Afrika!“. Büchners „Hessischer Landbote“ wird heute, so die Vermutung, irgendwo in Russland gegen Putin geschrieben. Und St. Justs Blutrede aus „Dantons Tod“ wird mit Zwängen des Marktes begründet und plädiert für ein „neues nordisches Europa“. Das ist von Aleksandar Radencovic sehr überzeugend vorgetragen. Am Ende taucht noch einmal Lenz auf, eine unpassende Klammer dieses Welttheaters in biographischen Dimensionen. Das Spiel des in sieben Figuren zersplitterten Lenz wirkt dabei (in der zweiten Vorstellung) aber vollends uninspiriert.
Insgesamt leidet das Projekt unter der überladenen Bedeutungsschwere, die mit mäßig überzeugender theatraler Umsetzung einhergeht. Was von Richter als Beleg für die Aktualität Büchners gemeint ist, lässt sich auch als Misstrauen in die Wirkung seines Werkes lesen, das eine Aufhübschung mit unserer schrecklichen Gegenwart braucht. Andererseits ist Richters Versuch ehrenvoll: Er will die ganze Gegenwart erklären und dabei zeigen, wie sehr Büchner unser Zeitgenosse ist. An Büchners Genie, das krasse Worte und Wirkungen mit exakter, wissenschaftlich kühler Beobachtung verbindet, kommt dieser grobe Wurf nicht heran, auch nicht an Versuche einiger anderer Autoren und Theatermacher der Gegenwart, sich mit der Krise unserer Gesellschaft auseinanderzusetzen.