Foto: Das Ensemble bringt das Publikum zum Gruseln. © Ronny Ristok
Text:Joachim Lange, am 26. Oktober 2024
Achim Freyer beweist am Theater Altenburg Gera erneut, dass er weiß, wie Wagner funktioniert: Er zeigt den Klassiker als düstere Traumreise, die zum Fürchten einlädt.
Gerade hatte er in Meiningen Verdis „Don Carlos“ auf die Bühne gebracht – da ging es für ihn in Gera weiter mit Wagners „Fliegendem Holländer“. Achim Freyer ist als mittlerweile 90-jähriger Gesamtkunstwerker nicht nur ein Solitär, sondern immer noch von erstaunlicher Produktivität. Da er auch schon den „Ring“ (sogar zweimal) und „Parsifal“ im Inszenierungsverzeichnis hat, ist der „Fliegende Holländer“ natürlich keinerlei Hürde für den Szeniker, der bei seinen Bildlösungen gerne zweidimensional wie ein Maler denkt bei dem Assoziationen und Traumwelten die dritte Dimension sind, die er mit der Musik verbindet.
Ausgemaltes Bühnenbild
Den Maler mit dem leichten Handgelenk verleugnet er auch in Gera keinen Augenblick. Allein die skizzierten Totenköpfe, die wie Luftblasen seinen Holländerkahn umblubbern, sind eine Maler-Show für sich. Das Bühnenportal ist weiß leuchtend eingerahmt. Quasi mit dem Lineal. Freihändig dann rechts ein Riesenfelsen. Vermutlich norwegisch, wie Freyer ihn sieht. Oder träumt. Links eine Art Baumhaus im Hochstandlook. Sentas regulärer Bräutigam im Stück, Erik, ist schließlich Jäger. Hier ist er auch noch ein notorischer Türenknaller mit Trachtenhut. So viel dazwischen geknallt wurde vermutlich noch in keinem „Fliegenden Holländer“. Man merkt schnell, dass das panische Rein-Raus oder das hektische Hin-und-Her eines stummen Doppelgängers auf der Bühne zu Eriks Verlierernatur gehören.
Gezeichnete Totenköpfe rahmen Freyers Kulisse. Foto: Ronny Ristok.
Rechts hat Freyer einen schiefen, mit einem schwarzen Vorhang versehenen Bilderrahmen platziert. Oder eben einen Wunderspiegel als Eingang ins Unterbewusste von Senta. In dem steht ein gespenstisch überlebensgroßer Holländer mit Künstler- bzw. Wagner-Barett auf dem Kopf. Hinter einer hereinfahrenden Silhouette bewegt sich dieses lebende Holländer-Traumbild aus Sentas metaphorischem Bilderrahmen in die Bühnenmitte und wird dort zu einem Standbild, in dessen weiten Mantel sich Senta verbergen kann. Senta selbst ist die verträumte Unschuld in Weiß. Ihr Vater Daland ein geschäftstüchtiger, beweglicher Filou mit Hang zum eleganten Borsalino-Hut und zur Albernheit. Er ist halt einer, der „Port“ auf „fort“ reimt und sich „von hinnen“ stiehlt.
Schaurige Träumerei
Harry Kupfer ließ einst in seiner legendären Bayreuth-Inszenierung die ganze Oper von Senta träumen. Auch bei Freyer wird jetzt geträumt, was das Zeug hält und Musik und die dräuende Szene hergeben. Erik etwa erzählt nicht nur explizit und musikalisch eindrucksvoll ausgemalt von seiner Traumvision. Er wird sogar ihr Opfer. Am Ende, wenn die Messen sozusagen gesungen sind, ein Senta-Double vom Felsen und das Holländerschiff in die Tiefe des Meeres (vermutlich in den Abgrund der Hölle) stürzten, erschießt Erik sein Alter Ego, sprich sich selbst.
Freyer bestätigt freilich den Verdacht, dass alles ein Traum im Traum war, noch auf andere Weise. Zu den letzten Tönen steht nämlich Frau Mary allein vorm dunklen Firmament und lässt ihre Peitsche kreisen. Kann gut sein, dass diesmal die ganze Geschichte nicht Sentas Traum war, sondern der von Frau Mary. Erschossen hat sie den Holländer schon öfter mal. Auch in der aktuellen Bayreuther Version ist das so. Aber die ganze Geschichte geträumt und mit der knallenden Peitsche in der Hand das ganze Personal durch einen gruselig schönen Alptraum getrieben, das hat sie wohl noch nie. Ob nun bewusst erdacht oder geträumt: es ist schon eine aparte Pointe, die Freyer hier bietet.
Herausragende Stimmgewalt
Und er hat mit der auch in der Maske charismatischen Eva-Maria Wurlitzer dafür genau die richtige Mary. Wenn deren Stimme aus der Tiefe heraufdringt oder sie über die Bühne schreitet und einen Fuß vor den anderen setzt ist das ein Kabinettstück teuflischer Magie. Auch sonst herrscht in Gera vokaler Luxus. Anne Preuß ist eine traumwandlerisch aufleuchtende Senta, die etwas zurückgenommen ohne Überdruck auskommt. Alejandro Lárraga Schleske ist ein so wohltimbrierter wie wahrhaft verzweifelnder Holländer. Philipp Mayer der spielerisch leichtfüßige und vokal standfeste Daland. Issac Lee schließlich schmettert sich als Erik in seine persönliche Katastrophe. Johannes Pietzonka komplettiert als Steuermann das Ensemble.
Alexandros Diamantis hat den aufgestockten Chor zwischen seemannsderb und geisterhaft für seine tragende Rolle passgenau einstudiert. Nicht zuletzt setzt GMD Ruben Gazarian mit dem Philharmonischen Orchester Altenburg-Gera voll darauf, die Tonmalerei Richard Wagners mit der szenischen Malerei von Achim Freyer zu verbinden und einen Sog zu erzeugen. Auf der Bühne reisst er das Holländerschiff in den Abgrund. Im Theater zieht der die Zuschauer in den Bann.