Foto: Gott ist tot? © Wilfried Hösl
Text:Joachim Lange, am 28. Oktober 2024
Die Staatsoper München zeigt Wagners „Rheingold“ in einer Inszenierung von Tobias Kratzer. Der zukünftige Hamburger Staatsopern-Intendant weiß, wie man den Klassiker in großartige Theaterbilder übersetzt.
Unter den Regisseuren der gegenwärtig in Bayreuth laufenden Inszenierungen ist Tobias Kratzer der Favorit beim Publikum und bei den Kritikern. Sein „Tannhäuser“ ist aber selbst für Skeptiker in Sachen Regie verführerisch. „Lohengrin“ und die „Meistersinger“ hatte er davor schon inszeniert. Sogar eine, einzelne „Götterdämmerung“ in einem Viererprojekt. Anders als Altmeister Peter Konwitschny, der mit seiner einst für Stuttgart als Einzelstück verfertigten „Götterdämmerung“ jetzt in Dortmund seinen Ring komplettieren kann, wird Kratzer da wohl noch mal separat ran müssen. War sein Karlsruher Ringbeitrag doch sehr spezifisch auf die drei anderen Inszenierungen bezogen.
Dass Kratzer an seinen Ringplänen für München festgehalten und deren Umsetzung jetzt, auch nachdem klar war, dass er in Hamburg Staatsopernindentant werden wird, begonnen hat, spricht für ihn. So wie die Qualität, mit der ihm das gelungen ist. Nun ist Wagners Ring-Vierteiler das Paradebeispiel für eine als Zyklus erzählte Geschichte und kommt somit per se Kratzers erklärter und bewiesener Vorliebe fürs Zyklische entgegen. Seine diversen Inszenierungen von Giacomo Meyerbeer- und Richard Strauss-Opern sprechen für sich. Man darf in München also auf ein bis zu Ende durchdachtes Ringkonzept hoffen. Ohne, dass er dabei auf optische Leitmotive ausweichen oder der Vorabend schon alles verraten würde.
Großartige Bilder
Sein „Rheingold“ beginnt quasi mit einem magischen Moment. Wie im Festspielhaus in Bayreuth bleibt der Graben bei den ersten Tönen vom Rheingrund noch dunkel. Das Stichwort für den (erfolglos) mit seinem Selbstmord befassten Alberich ist dann „Gott ist tot“. Die auftauchenden Rheintöchter halten ihn davon ab. Als er den Rheintöchtern dann das leuchtende Etwas (das nicht ganz klar definierbare Rheingold) entwendet, schießt er eine der Rheintöchter an, sodass die bei ihrem letzten Auftritt an Krücken geht.
Die alten germanischen Götter aber, die angefangen von Wotans Flügelhelm, Umhang und Speer bis zu Donners Hammer auch so aussehen, lassen einen eingerüsteten und mit Planen verhängten Altar zwischen den wuchtigen Säulen eines christlichen Gotteshauses renovieren. Von zwei Riesen, die wie Priester mit Bekehrungseifer, den Glauben renovieren wollen.
Wenn die Götter am Ende in dem goldenen Altar-Schmuckstück (als Ersatz für ihr Walhall) in ihre Prachtgewänder gehüllt, dort ihre Plätze einnehmen, ist das nur der abschließende optische Clou einer ganzen Reihe von großartigen Theaterbildern und witzigen Einfällen zum hintersinnigen Subtext, die die Inszenierungen von Kratzer allemal zu einem Erlebnis machen. Ausstatter Rainer Sellmaier konnte hier jedenfalls mit seiner Kulissengotik voll zulangen.
Die raunende Mahnung der Urmutter Erda (großartig: Wiebke Lehmkuhl) etwa, mit der sie den Göttern ihren Untergang voraussagt, wird hier zu einer Vision, bei der sie – mit Alberichs Ring an ihrem Finger – die Zeit bis zum flammenden Inferno vor- und dann wieder zurückdreht.
Zwielichtige Moral
Dass Alberich und Wotan für Kratzer im „Rheingold“ die zentralen Figuren sind, wird bei der Zeit- und Weltreise klar, die Wotan und Loge machen, um Alberich aus seiner metaphorischen Erfinder-, Überwachungs- und Waffenlager-Garage in Amerika zu entführen. Dass den Gott auf dieser Reise niemand erkennt, ist das eine. Wie Wotan dann aber Alberich daheim in seiner Zeit und an seiner Altar-Baustelle im wahrsten Wortsinn splitternackt macht und erniedrigt, ihm schließlich nicht nur den Ring, sondern auch gleich noch den Finger entreißt, stellt ihn auf eine Stufe mit ihm.
Loge ist in Gestalt des smarten kettenrauchenden Sean Panikkar hier der kühle Analytiker und Begleiter Wotans, der weiß, dass das Spiel der Götter mit der Welt längst gelaufen ist. Der aber seinen Spaß daran hat, sein Feuerzeug am Ende erstmal noch nicht an deren Altar zu halten, sprich ihr Walhall in Brand zu setzen. Zwischendrin zündelt er immer wieder mal. Um die Sicherheitsbeamten abzulenken, wenn sie Wotan mit seiner Kröte nicht passieren lassen wollen. Oder, wenn Wotan und er die Nibelheimgarage verlassen.
Es ist jede Menge los in diesem „Rheingold“ und man darf gespannt sein, wie, wo und wann dieser Geschichte eines Clashs der Zeiten und Welten wohl weitergeht. Musikalisch glänzen Vladimir Jurowsky und sein Orchester mit theatralischer Verve. Im differenzierten Protagonisten Ensemble profilieren Nicolas Brownlees Wotan und vor allem Markus Brücks geschundener Alberich als das zentrale Gegensatzpaar dieses Ringteils.