Foto: Thomas Wenzel und Dirk Boether treffen als scheinbar komplette Gegensätze aufeinander. © Marie Liebig
Text:Jens Fischer, am 30. November 2024
Das Schlosstheater Celle bietet seinem Publikum zur Feier der Jubiläumsspielzeit pure, spritzige Unterhaltung. Damit nimmt sich die Inszenierung aber auch die Möglichkeit für tiefergehende Momente.
Er rennt hier, hetzt dort hin, stolpert, fällt, malocht weiter und behält den Rhythmus einer Clownsnummer bei. Er versucht immer sein Bestes zu geben und dabei auch auf seine Kosten zu kommen. Für ihn bedeutet das Lebensmittel in sich einzufüllen, seien es Hähnchenklöten, Gourmetsuppen oder Cocktails aus zusammenkippten Rotwein- und Bier-Resten von Kneipentischen. Aber auch ein sexueller Hunger plagt ihn. Auf der Bühne des schnuckligen Schlosstheaters in Celle ist dieser liebenswürdige Francis (Philipp Keßel, hergerichtet in Wilhelm Buschs Moritz) ein prima Komödienmotor – und könnte auch ein recht moderner Typ sein.
Um Aufmerksamkeit buhlt er, indem er philosophische Fragestellungen als Small-Talk-Pointen serviert. Künstler möchte er sein, Typ Musiker, wurde aber gerade aus seiner Band geschmissen und arbeitet nun im Ganoven-Milieu für Roscoe. Der aber wurde bereits ermordet und von seiner Zwillingsschwester Rachel ersetzt, die ihren Geliebten Stanley sucht, bei dem Francis – zur Verwirrungssteigerung – auch noch einen Job annimmt, da das Geld sonst zum Überleben nicht reicht.
Unterhaltungsgeschenk an das Publikum
Als „Diener zweier Herren“ ist dieser Multijobber bereits als Truffaldino aus Carlo Goldonis Commedia dell’Arte-Hit (1746) bekannt. Ein Überforderter, der das Chaos um sich herum wachsen und die Absurdität von Situationen kenntlich werden lässt. Was in der Überschreibung von Richard Bean aus dem Jahr 2011 in eine englische Farce mündet, die unter dem Titel „Ein Mann, zwei Chefs“ für die Jubiläumsspielzeit „350 Jahre Schlosstheater Celle“ von Tobias Materna als Geschenk ans pure Spaßbedürfnis des Publikums inszeniert ist. Denn all die Möglichkeiten, sich auf Probleme der heutigen Arbeitswelt oder inhaltlich überhaupt auf irgendetwas zu fokussieren, werden der entspannenden Unterhaltung zuliebe ignoriert. Mit Erfolg.
Der Lachpegelausschlag steigt im Publikum von Minute zu Minute wie auch die Szenenapplaus-Frequenz. Es triumphiert die Mechanik der Komikproduktion in dafür angemessen hohem Tempo. Und mit überbordenden Bühnenaktionen. Die Figuren machen immer mehr komische Sachen als die im Text vorgegebenen Verwechslungen und Missverständnisse hergeben. Unter andere verwickeln sie Zuschauer:innen auch in Mitspielaktionen und verkünden Weisheiten, etwa dass „Liebe durch die Ehe schneller geht als Scheiße durch einen kleinen Hund“. Extra ins Stück geschrieben wurden lokale Kalauer, so dass nun jemand zur Ablenkung „an etwas Ödes denken soll“ – und ihm dazu „Hannover“ einfällt. Irgendwann beißt Francis in seinem Dauerhunger einfach mal in einen Brief und kommentiert: „Ein bisschen trocken, könnte etwas mehr Tinte vertragen.“
Ein Funken Ernsthaftigkeit zwischen Karikaturen
Gern addiert das Ensemble grelle Körperkomik zu den Gags. Virtuose Grimassen, akrobatische Slapstick- und lässig ironische Tanz-Einlagen sind zu bewundern. Wenn jemand nach keck abgelieferter Albernheit die Bühne verlässt, darf damit gerechnet werden, dass er wie Tarzan an einem Seil nochmal hereingeschwungen kommt. Einfach nur so. Ein Kollege reißt sich das Hemd vom Leib, um Liebeskitschphrasen herauszuposaunen wie eine auf leidenschaftliche Romantik programmierte KI. Wenn Francis gleichzeitig seine beiden Arbeitgeber und seinen Hunger in einem Restaurant bedient, wird daraus spielverrückt eine „Dinner for one“-Paraphrase. Alles egal, alles überbordend lustig. Dafür entwickelt ein Trio für die im Skiffle-Retro-Style erdachten Songs des Stücks eine größere musikalische Bandbreite. Es spielt im luftigen Duktus Rock ’n‘ Roll, mal angerockten, mal angejazzten Pop.
Wie vom Autor vorgegeben bezieht sich die Ausstattung (Till Kuhnert) nostalgisch auf die frühen 1960er-Jahre in England, Elisabeth I. lächelt von einem Wandbild, die Männer tragen noch Elvis-Tollen, Frauen so Petticoats. Während Goldoni die Typen-Comedy ansatzweise zur Charakterkomödie menschlicher Schwächen entwickelte, revidiert das diese Neufassung. Was sonst möglich wäre, ist an einer Szene zu merken, in der plötzlich keine Karikaturen mehr über die Bühne toben, sondern sich verliebende Frauen.
Eine nur als Dummchen angelegte Gangster-Tochter und die machomäßig auftrumpfende Roscoe-Schwester begegnen sich erst wie kreischige Teenies, die über ihre angehimmelten Mannsbilder quatschen. Dann aber verstummen sie wie lebendig fühlende Menschen, schauen sich an, von aufwallenden Gefühlen verwirrt. Ein Kuss liegt in der Luft, aber nicht auf ihren Lippen. Denn das lesbische Tête-à-Tête erstarrt, weil ein Mann einen Rülps zum Besten gibt. Der Jokus übernimmt, das atemlose Publikum lacht wieder. Am Ende siegt das Happy End, drei Paare finden zueinander, Urlaub auf Mallorca wird geplant, ein Slapstick-Exzess gefeiert. Gute-Laune-Management, erfolgreiches.