Hier ist der „Fliegende Holländer“ Schauspieler im gleichnamigen Kinofilm, dreht nebenbei TV-Spots für Mineralwasser, ist verheiratet und hat zwei entzückende Kinder. Das erfährt Senta allerdings erst ganz zum Schluss, in einer Art Konfrontationstherapie, durch die Vater Daland sie von ihrem krankhaften Holländer-Fankult heilen will. Klappt leider nicht: Auch im Schlussbild sitzt Senta wieder allein im Kinosaal, wie schon zur Ouvertüre als kleines Mädchen mit ihren Eltern. Bis dahin erleben wir einen unterhaltsam-opulenten, perfekt getimten Opernabend mit psychologischem Überbau, in dem Realität und Fiktion Sentas kaum zu trennen sind.
Wir blicken in einen Kinosaal
Getragen wird das Ganze vom effektvollen Bühnenbild Zinovy Margolins: ein Kinosaal, dessen Zuschauer uns gegenüber sitzen, so dass wir alle Filmszenen gespiegelt auf einer durchsichtigen Leinwand mitansehen: den bärtigen Holländer mit schwerem Pelzmantel, wie er im Schneesturm rohen Fisch schneidet oder verpackte Leichen ins Meer wirft. Wenn später, beim Chor der Seemänner, die Kino-Sitzreihen sich auf- und abbewegen wie Wellen, im Hintergrund Schneeberge projiziert werden und pechschwarze Gewitterwolken den Bühnenhimmel bedrohen, verschmelzen die Erzählebenen von Film und Sentas Leben auch optisch beeindruckend (Lightdesign: Alexander Sivaev).
Vasily Barkhatov hatte den „Fliegenden Holländer“ vor gut zehn Jahren schon in St. Petersburg inszeniert, ihn seitdem weiterentwickelt, wie er es auch mit seinem fulminanten „Eugen Onegin“ tat, der kürzlich in Bonn Premiere hatte. An der Rheinoper (die Duisburg-Premiere fand bereits im Oktober 2022 statt, nun folgte Düsseldorf) stellt er nun stärker noch Senta ins Zentrum: Ein darstellerischer Kraftakt für Gabriela Scherer, die quasi ununterbrochen auf der Bühne ist und eine jugendliche, nicht zu dramatische Senta in schwarzer Kapuzenjacke und Tüllrock gibt (Kostüme: Olga Shaishmelashvili).
Sozialklischees: Mütter am Handy, Männer vorm Fußball
Bildgewaltig beginnt auch der zweite Aufzug in einer Shopping Mall neben besagtem Kino, mit Dönerbude, Kinder-Karussell und Kuscheltierautomat. Hier ist Senta bei ihrer „Ballade“ umgeben von Smartphone-fixierten Müttern, deren Kids auch allesamt nur aufs Handy glotzen. So eklatant die Digitalkritik hier sein mag: Das monotone Display-Wischen ist ein humorvolles Pendant zum rhythmischen Drehen der Spinnräder in der Partitur.
Leider verlieren sich die folgenden Szenen im Party-Public-Viewing eines Fußballspiels – so stark der Chor unter der Leitung von Patrick Francis Chestnut auch einstudiert ist. Weder szenisch noch musikalisch funktioniert das Wechselspiel der heimischen Seeleute mit der Mannschaft des Holländers. Schade auch, dass der herausragende Michael Volle als Holländer hier zum gelangweilten Handlanger Dalands verkommt, dem das alles nicht schnell genug vorbeigehen kann, wenngleich Volle das sehr überzeugend ausspielt.
Die musikalische Leitung des scheidenden Rheinopern-Generalmusikdirektors Axel Kober leidet stellenweise unter den szenischen Turbulenzen; erfreut dafür überwiegend durch ein flottes, transparentes Dirigat. Durchweg sehr gut besetzt ist das übrige Ensemble, allen voran David Fischer als Steuermann mit strahlend klarem Tenor, Jussi Myllys beachtlich phrasierend als Erik, Anna Harvey als Mary und Bogdan Taloș in der Partie des Daland.
So bleibt die alte Frage, wie Libretto-treu man inszenieren sollte, um Oper des 19. einem reizverwöhnten Publikum des 21. Jahrhunderts noch nahe zu bringen. Unterhalten hat sich das Düsseldorfer Publikum jedenfalls prächtig – auch wenn dramaturgisch Fragen offen geblieben sind.