Was in der Novelle „The Jolly Corner“ von Henry James, nicht umsonst auf Deutsch in einer Sammlung mit dem Titel „Gespenstergeschichten“ veröffentlicht, an Unheimlichem geschieht, muss auf der Bühne bei gesungenem Text klarer und eindeutiger sein. So verliert sich zumindest im Libretto, das Manfred Trojahn selbst geschrieben hat, das Geheimnisvolle.
Morbide Kammermusik
Die Musik muss in 90 Minuten das magisch Morbide eines alten, verfallenen Hauses, in das Osbert (bei James: Spencer) Brydon zurückkehrt, und seine mürbe Müdigkeit in Töne fassen. Das gelingt mit kleinem Orchester aus Bläserquintett (Flöte, Oboe, Klarinette, Fagott, Horn „mit verschiedenen Zusatzinstrumenten zur Erweiterung der Register und Farben“), Streichseptett (ohne Geigen!), Harfe, Celesta und ein paar Schlaginstrumenten immer wieder erstaunlich. Diese fein ziselierte, oft melodiöse, vielfach tonal angehauchte Kammermusik, die auch schon mal in einen Walzer mündet, wird von Mitgliedern der Düsseldorfer Symphoniker unter ihrem designierten Generalmusikdirektor Vitali Alekseenok ebenso prägnant wie pastellfarbenreich dargeboten.
Das vorletzte von sechs Bildern, die hier durch einen dumpfen Herzschlag verbunden oder besser getrennt sind, ist gar eine fulminante Etüde nur im Pizzicato! Immer wieder gibt es Allusionen oder Zitate, so der düstere Vorschlag aus der Arie Philipps II. in Verdis „Don Carlos“, der sein Leben in Revue passieren lässt, „Abschied“ aus Mahlers „Das Lied von der Erde“, Ravel, Schönbergs „Pierrot lunaire“ oder „Tod und Verklärung“ von Richard Strauss ganz am Ende. Die Besetzung mit dunklen Streichern sei eher mit Kerzenlicht als einem sonnigen Tag vergleichbar, „und wenn diese tieferen Instrumente in den hohen Geigenregistern spielen müssen, entsteht der Eindruck, dass ein älterer Mensch in seiner Jugend wühlt“, so Dirigent Alekseenok im Programm.
Er mit Sprechgesang, sie als verführerische Frau
Während Holger Falk kaum je die Stimme erhebt, in einer wie gelähmt klingenden Mezza Voce verharren muss, viel im Sprechgesang agiert und so seine Figur Osbert immer wieder psychisch wie physisch in sich zusammenfallen lässt, ist Juliane Banse als Ellice Staverton eine sinnliche, verführerische Frau, die leuchtendes Melos singen darf und den Mann immer wieder herausfordert, ihn mit seinem Zaudern, seinem verschrobenen Charakter konfrontiert. Und obwohl sie vokal wie körperlich so präsent ist, weiß man Am Ende nicht, ob nicht auch sie seiner Einbildung, seiner Erinnerung an längst vergangene Zeiten entspringt, wie sein, als gierig bezeichnetes Alter Ego. Das ist mit Eselsmaske immer präsent, darf aber erst im vorletzten Bild singen. Roman Hoza ist das jüngere Ebenbild Osberts, das am Ende mit ihm in einem Video zwischen fünfter und sechster Szene in Zeitlupe kämpft und beinahe mit ihm verschmilzt. Allgegenwärtig ist auch die Haushälterin Mrs. Muldoon, fulminant verkörpert von Mezzosopranistin Susan Maclean.
Regisseur Johannes Erath erfindet noch ein paar stumme Nebenfiguren hinzu, die Theatergarderoben bevölkern oder – wie ein kleiner Junge mit Puppenbühne – ebenfalls ein Schatten der männlichen Hauptfigur sind. Heike Scheeles magischer Realismus mit dreh- und verschiebbaren Treppen à la Escher, Kostümen, die ebenso historisch wie phantastisch anmuten, und die Videos von Bibi Abel, die das Ganze verrätseln und aus unterschiedlichsten Perspektiven zeigen, atmet viel von der Atmosphäre eines Henry James, der auch Regisseur Johannes Erath mit dem somnambulen Spiel, das er von seinen Protagonisten fordert, gerecht wird.