Foto: Simeon Esper als Mime und Patrick Cook als Siegfried © Annemone Taake
Text:Roland H. Dippel, am 13. März 2023
Am 13. Mai 2023 beginnt die Sanierungsphase des Landestheaters Coburg. Bis dahin ziehen alle Sparten und das Philharmonische Orchester in die bisher noch nicht fertige Ersatzspielstätte Globe. Dort wird das „Ring“-Finale „Götterdämmerung“, sofern der bisherige Planungsstand realistisch bleibt, in der kommenden Spielzeit und 2024/25 eine zyklische Gesamtaufführung von Richard Wagners vierteiligem Bühnenfestspiel „Der Ring des Nibelungen“ stattfinden. Nach der „Rheingold“-Premiere 2019 folgte die „Walküre“-Premiere wegen der Pandemie erst 2022.
Für jemanden, der die ersten beiden Coburger „Ring“-Teile nicht gesehen hat, erweist sich Alexander Müller-Elmaus Regie als „Kopfgeburt“ in Bildern. Nach Siegfrieds Kampf mit dem Drachen Fafner schwebt das von fast der ganzen Personage begehrte Nibelungengold darnieder – in Form eines menschlichen Gehirns. Der zweite „Ring“-Tag bringt in Coburg die Fortsetzung des „Rheingold“ und „Walküre“ begonnenen Erinnerungsspiels – beobachtet von ärmlichen Menschen und solchen, die das Geschehen dokumentieren. Das sind die Gibichungen aus „Götterdämmerung“. Sie blicken stumm mit Computer und Smartphone aus ihrer Epoche der Gottferne zurück in jene Zeit, als der Mythos noch etwas bedeutete und dem Gemeinwesen noch etwas zu sagen hatte. Selten war eine Wagner-Dekoration so sparsam wie die von Müller-Elmau auf der von schwarzer Folie umhüllten Bühne. Die Stimme des Drachen Fafner (gellend schwarz: Bartosz Araszkiewicz) kommt aus einem riesigen Megaphon, bevor er nackt in Menschengestalt an dem Brustschuss durch Siegfried verendet.
Hier riecht es nach Dauerkrise
Zeichen der Entgeheimnissung dieser Welt ist auch, dass Siegfried nicht das gebrochene Schwert Nothung zusammen schmiedet, sondern aus dessen Material einen im Lauf des Abends reichlich zum Einsatz kommenden Revolver gießt. Der zum Tatgehilfen dressierte Held hat, wenn er seinen Verstand vom unsympathischen und sein eigenes Zwecksüppchen kochenden Stiefvater Mime unabhängig macht, nur wenige Bezugspunkte. Überall riecht es nach Prekariat und gesamtgesellschaftlicher Dauerkrise. Auch Julia Kaschlinskis Kostüme entmystifizieren Wagners Weltdrama also gründlich. Müller-Elmau hat Wagners Text genau gelesen. Er kommt deshalb zu schlichten und sinngemäß passenden Bildern, sehr nachdenklich und ohne Illusionsappeal. Insofern ist der von Wagner als „heroisches Lustspiel“ geplante und dann doch in dessen negative Weltsicht einmündende „Siegfried“ in Coburg von ausnüchternder Ehrlichkeit.
Claudia Bauer vom Landestheater Niederbayern übernahm die Stimme des Waldvogels für die dazu spielende Francesca Paratore. Patrick Cook brachte für den kräftigen Rowdy Siegfried trotz krankheitsbedingter Angeschlagenheit die Statur und auch die im Leisen vollauf tragfähige Kondition mit. Für den langen Monolog und die Schlussszene spielte sich dann der als tenoraler Notanker unter den Beobachtern der Szene agierende Zoltán Nyári nach vorn. Nyári setzte mit stimmlicher Ausgeruhtheit, Konzentration und der die gesamte Produktion auszeichnenden Sorgfalt der Diktion ein. Und er zeigte, dass Wagners nur die Frauen und sonst nichts fürchtender Hitzkopf mehr vom männlichen Begehren und erotischen Erobern weiß, als im Textbuch steht. Dieser Veredelungskick befeuerte sowohl die energische wie leuchtkräftige Brünnhilde von Åsa Jäger wie den Generalmusikdirektor Daniel Carter, der in der Erweckungsszene das Philharmonische Orchester zum größeren Schwelgen treibt.
Vom Reiz der sängerischen Deutlichkeit
Letzteres entwickelt im geringen Raumvolumen eine beeindruckend individuelle Klangkontur, in der weder Charisma zum Selbstzweck noch Wagners „unendliche Melodie“ durch einen extrovertierten Strom undeutlich vergröbert wird. Der Reiz des Coburger „Siegfried“ liegt in der sängerischen Deutlichkeit. Das gerät in die Risikozone nüchterner Trockenheit, macht aber Wagners in „Siegfried” an Drive gewinnenden Gleitflug Richtung Apokalypse auch atmosphärisch stark.
Simeon Esper als Mime hat die rhetorische Kampfbereitschaft, die immer wieder aus dem Minenfeld von Siegfrieds und Mimes Zweisamkeit züngelt, mitreißend in der Stimme. Zu ihm gesellt sich in der Wissenswette mit Michael Lion ein Wotan-Wanderer von weniger pathetischer als gleichgültiger Resignation. Der Lack ab und die Lust futsch sind bei Evelyn Krahe als ohne Tiefen-Betörung auskommende Erda und dem hinter seinem Anzug anämisch undämonischen Alberich von Martin Trepl. „Siegfried“ wird in Coburg das technische Frühlingserwachen eines Jungen im Überdruck durch vergreisende Altvordere. Darüber hat man schon viel gelesen und es doch nur selten mit so sachgemäßer Prägnanz erlebt. Der Jubel nach den trügerisch aufjauchzenden Schlussakkorden evozierte Beifallsorkane.