Szene aus „Nicht ohne Dich (You bury me)“ am Theaterhaus G7 in Mannheim

Revolution oder Resignation?

Ahlam: NICHT OHNE DICH – You Bury Me

Theater:Theaterhaus G7, Premiere:07.03.2019 (UA)Regie:Inka Neubert

Es ist der 25. Januar 2011 in Kairo: Auf dem Tahrir-Platz beginnen die Massenproteste gegen das korrupte Regime von Präsident Mubarak, die Lage eskaliert in den folgenden Tagen zunehmend, blutiger Höhepunkt wird die Ermordung hunderter Demonstranten. Der Arabische Frühling tobt.

Wie sechs junge Menschen diese Zeit des Aufruhrs erleben, am Beginn ihrer Sexualität stehend und im ersten Definieren ihrer Lebensträume, das schildert eine junge ägyptische Autorin im Stück „Nicht ohne Dich (You bury me)“, das am Theaterhaus G7 in Mannheim uraufgeführt wurde. Die Autorin mit Pseudonym Ahlam kann ihre Identität aufgrund der politischen Situation ihrer Heimat nicht preisgeben – konnte entsprechend nicht anwesend sein zur Premiere. Welch Glücksfall jedoch, dass Dramatikerin Ulrike Syha, die für den Hamburger Rowohlt-Verlag als Übersetzerin arbeitet, den Text ins Deutsche übertrug und damit die Uraufführung an dieser kleinen Bühne ermöglichte. Ein kompaktes Kammerspiel voll schonungsloser, emotional eindringlicher Dialoge, das die sechs jungen Schauspielerinnen und Schauspieler in der Regie von Inka Neubert bravourös auf die Bühne und in den Zuschauerraum bringen, wo sie zwischenzeitlich Platz nehmen unter uns und damit im Dunkel verschwinden, wie auch im Stück Menschen plötzlich verschwinden.

Rafik (Müjdat Yüksel, toll im Ausloten zwischen coolem Macho und sensiblem Freund) ist wegen seiner frisch entdeckten Homosexualität zuhause rausgeflogen, der Vater hätte ihn sonst in so ein Rehabilitationsheim gesteckt. Sein Kumpel Osman (Björn Luithardt) gewährt ihm Unterschlupf, ist selbst Blogger und wird wegen seiner Berichterstattung über den Widerstand bespitzelt. Doch er schreibt weiter, kifft viel, ist ganz jugendlicher Revolutionär, und hofft monatelang auf die Befreiung seiner am Tahrir-Platz verhafteten Freundin. Bis auch Rafik verhaftet und gefoltert wird, nicht mehr zurückkehrt.

Zwischen den zwei Freundinnen Maya (Irina Mayer) und Lina (Anna Göbel) entspinnt sich derweil der Grundkonflikt um die moderne arabische Frau: „Eine anständige Frau darf kein Vergnügen empfinden, bis sie rechtmäßig verheiratet ist.“ Dem folgt die brave Lina, bis sie der sexuell äußerst aktiven Maya verfällt und deren Partyszene inklusive Alkoholkonsum für sich entdeckt. Als ihr die vermeintliche Freundin im Streit eine vertrocknete Muschi vorwirft, kommt es zum Bruch… 

Schließlich wären da noch die zwei Verliebten Alia (Vivien Zisack) und Tamer (Aaron Jeske): doch für einen christlichen Junge und ein muslimisches Mädchen, deren Vater noch dazu bei den Muchabarat – dem ägyptischen Geheimdienst – arbeitet, ist jedes vorsichtige Fummeln überschattet von Panik vorm Entdecktwerden, vor Verhaftung, Folter, Tod. Alias Fluchtplan, auf einem aufgepumpten (!) Floß übers Meer gen Italien zu fliehen, lässt auch diese beiden sich zerfleischen in einer brüllintensiven Streiterei am Strand.

Die Szenen fließen temporeich ineinander, mal spricht das Ensemble chorisch als „Stadt“, dann wieder entstehen intime Dialoge, humorvoll, tragisch. Kairo hassen oder lieben? Fliehen oder bleiben? Revolution oder Resignation? Immer wieder müssen Grundsatzentscheidungen gefällt werden, füreinander oder gegeneinander. Was bleibt, ist die Ungewissheit, was auch Jahre später aus den vermissten Freunden wurde. Lina tröstet sich mit der Illusion, Alia und Tamer würden glücklich in Italien leben, viel Pizza essen und knappe Outfits tragen. Dass die dezent gehaltenen Einspielungen von Meereswogen auf eine halbrunde Leinwand (Video: Norbert Kaiser) noch ganz andere Optionen implizieren, bleibt unausgesprochen. „Nicht ohne Dich“ ist eine gelungene Uraufführung über Identitätsfindung und eigene Werte – nicht nur in der arabischen Welt! Ein Stück, zu dem man der Autorin gerne gratulieren würde.