Foto: Yvonne kniend im Vordergrund, hinter Ihr betrachten sie Prinz und Freund. © Birgit Hupfeld
Text:Anne Fritsch, am 16. Dezember 2023
Miloš Lolić inszeniert Witold Gombrowicz’ „Yvonne, Prinzessin von Burgund“ am Münchner Residenztheater und zeigt eine bigotte Gesellschaft, die durch die Anwesenheit einer Unbekannten ins Wanken gerät. Unter der gesitteten Oberfläche schlummern Aggressionen und misogyne Unterwerfungsfantasien.
Der Name „Yvonne“ fällt an diesem Abend im Münchner Marstall nur ein einziges Mal. Als das Stück schon fast zu Ende ist. Als die Hofgesellschaft die Ermordung dieser jungen Frau plant, die auf einmal da war und seitdem – von wenigen Ausnahmen abgesehen – beharrlich schweigt und das Treiben um sich herum neugierig beobachtet. Ob Yvonne wirklich ihr Name ist, ist mehr als fraglich. Niemand weiß, wer sie ist oder woher sie kommt. Sie hat sich nicht vorgestellt. Als die königliche Familie gerade den Sonnenuntergang beobachtete und eine Glitzer-Konfetti-Kanone zum Nationalfeiertag abfeuerte, entdeckten sie dieses unbekannte Mädchen, das ihnen gegenüber auf einem der Podeste saß, die so etwas wie Inseln in einem Meer aus Nebel bilden. Aus diesem Nebel scheint sie aufgetaucht zu sein, aus dem Nichts
Naffie Janha trägt einen silber-changierenden Overall und dazu passende Stiefeletten, darüber ein roséfarbenes Etwas, das ein wenig aussieht wie ein noch nicht fertig geschneidertes Abendkleid. Vielleicht soll es zumindest ein bisschen darüber hinwegtäuschen, dass sie ein Fremdkörper ist in dieser Gesellschaft. Bald schon wirft sie es ab, zeigt sich als die, die sie ist. Dass sie keinerlei Ambitionen hat, dazuzugehören zu dieser hysterisch-bigotten Adelsclique, wird allein durch die intensiven Blicke deutlich, die sie denen und dem Publikum zuwirft. Obwohl die häufigste Regieanweisung in diesem Stück lautet „Yvonne schweigt“, kommuniziert Janha am intensivsten und unverstelltesten.
Reduktion aufs Wesentliche
Die Geschichte dieser Inszenierung ist eine voller Pech und Pannen: Ursprünglich wollte und sollte Wiktor Bagiński „Yvonne, Prinzessin von Burgund“ von Witold Gombrowicz inszenieren. Leider musste er aufgrund einer Erkrankung die Regie niederlegen, spontan sprang vor wenigen Wochen Miloš Lolić ein. Am Tag der Premiere, die eigentlich vor einer Woche hätte stattfinden sollen, gab es dann zwei Corona-Fälle im Ensemble, sodass die ursprüngliche Zweitvorstellung nun endlich zum Premierentermin wurde.
Yvonne rechts und das Ensemble daneben auf den durcheinander angeordneten Bühnenplateaus. Foto: Birgit Hupfeld
Lolić bringt eine aufs Wesentliche reduzierte Version des Dramas auf die Bühne. Wo Yvonne im Original von ihren Tanten begleitet wird, die auch mal für sie sprechen und sie unter Leute bringen wollen, steht sie hier ganz alleine und unvermittelt im Raum, was sie für die anderen noch irritierender macht. Ihr gegenüber stehen König Ignaz, den Simon Zagermann als ziemlich unbeholfenen, aber aggressionsbereiten Herrscher spielt, Königin Margarete, der Hanna Scheibe eine gehörige Portion Selbstzweifel gepaart mit Jugendwahn mitgibt, und Prinz Philipp, den Valentino Dalle Mura als verwöhntes Söhnchen spielt, der gewohnt ist zu bekommen, was er sich wünscht – und Yvonne wie ein hippes Accessoire behandelt. Dazu Philipps Freund Zyrill (Patrick Bimazubute) und Hofdame Isa (Felicia Chin-Malenski), die die Handlung stichelnd und stachelnd vorantreiben.
Störfaktor und Faszinosum
Yvonne ist in der bequemen Routine dieser Sippschaft sowohl Attraktion als auch Störfaktor, in jedem Fall ein Faszinosum. Während die anderen unaufhörlich reden und wenig denken, beobachtet sie und denkt sich augenscheinlich ihren Teil. Das beunruhigt die anderen, bringt sie aus dem Konzept. Sie suchen ihre Nähe, werden aggressiv, als sie ihre Kontaktversuche nicht erwidert. Der Prinz will sie sich durch eine Verlobung zu eigen machen, der König nennt sie verniedlichend „Tschimtschirimschi“ (oder so ähnlich), nähert sich ihr wie einer, die nicht ganz bei Sinnen ist („Ich bin dem Flippsi sein Pappi“) – und wird übergriffig, als sie nicht reagiert.
„Bitte lassen Sie mich“, ist einer der sehr wenigen Sätze, die Yvonne (oder wie auch immer sie heißt) ausspricht. Klar und deutlich. Sie hinterfragt die Etikette des Hofs durch Verweigerung und bringt dessen Fundamente ins Wanken. Am Ende, als sie ihr mittels einer Fischgräte den Garaus gemacht haben, bekunden sie ihr doch noch so etwas wie Respekt (oder fallen ganz automatisch in eine Verbeugung). Da steht die vermeintlich Tote auf, tritt in das Nebelmeer – und verschwindet. Ihr Leben, ein kollektiver Traum? Lolić lässt nicht nur offen, wer sie ist. Er geht noch einen Schritt weiter, endet mit der Frage, ob es sie überhaupt gegeben hat. Oder ob sie nur so etwas war wie ein Über-Ich, das die anderen an ihre Verfehlungen erinnert. Das verschüttete Gewissen einer verkommenen Gesellschaft.