Wiederum war zu erleben, dass die Intendanz ein bislang eher durch spektakulär abseitige Projekte aufgefallenes Youngster-Team aus Polen gleich auf Staatsopernniveau „in die Vollen“ gehen ließ – und die Dramaturgie des Hauses abermals nicht zügelnd erkennbar wurde. Ravels widerborstiges Kind will nicht lernen, bekommt Hausarrest und tobt seine kindliche Wut an Einrichtung und Haustieren aus. Doch es muss erleben, dass Dinge wie Tiere samt zerrissener Märchenbuchprinzessin plötzlich lebendig werden, ihr Schmerz sicht- und hörbar wird. Als sich alle schließlich an dem in den Garten geflohenen Kind rächen wollen, hilft das nun seine Fehler erkennende Kind einem verwundeten Tier. Seine Wandlung wird belohnt: mit „Mama!“ stürzt es selig in die Arme der Mutter. Kindeswut, singende Möbel, tanzendes Porzellan und viele, viele Tiere – ein Bravo den Werkstätten und der Maskenbildnerei! – all das erschlug das polnische Bühnenteam um Regisseur Grzegorz Jarzyna mit einem hinzuerfundenen, alles dominierenden Film-Team, einem Bühnenbild in einem bühnenbreiten Roll-Container und einer bühnenbreiten Projektionsleinwand darüber. Darauf lief zusätzlich die gleichsam „inszenierte“ Handlung aus dem Container asynchron, dann auch mit teils anderen Blickwinkeln. Also: aktionistisches Film-Team, originale Spielhandlung, Filmbild (samt Bildstörungen, gewollt oder ungewollt?) und Übertitel – all das erschlug das feine Gespinst des Werkes.
Viel leerer Aufwand mit drei historischen Straßenkreuzer-Cabrios aus den USA und schrill-schräge Kostümopulenz für die Garten-Party des Hofstaats um die verwöhnte Prinzessin auf der Zemlinsky-Bühne – bis hin zu Reifröcken der Hofdamen mit Innenbeleuchtung! Aber niemand schien sich an dem katastrophalen Fehler zu stören, dass der Hintergrundgarten durch vier transparente Spiegelwände abgetrennt war, der „Zwerg“ also gleich bei Eintreffen sein Spiegelbild sehen konnte. Absurderweise war dann das Verstecken eines kleinen Handspiegels betulich inszeniert – und zur Abtötung der realitätsblinden Liebe des Zwergs zur Prinzessin mussten es dann gleich fünf große Rollspiegel sein, die zur Selbsterkenntnis und zum Todesschock führen. Die dramaturgisch verschwurbelte Neudeutung gipfelte darin, dass der „Zwerg“ als schlanker, figürlich fescher „Normalo“ im schwarzen Anzug über dem weißen T-Shirt auftrat. Doch eine Umdeutung zu „Sensibler Humanist scheitert in Freak-Szene“ hätte einen Meisterregisseur verlangt. Der war nicht zu erleben. Statt Theaterhandwerk gab es Arrangements.
Der Zwerg von John Daszak hatte mit der immer wieder geforderten obersten Terz der Tenorlage hörbar Mühe, so gut er artikulierte und sich um Gestaltung mühte. Die beide Werke verbindende Prinzessin von Camilla Tilling klang gut. Am besten gelang der kleinen Tara Erraught Ravels ungebärdiges Kind. Braucht es dazu einen eigenen „Casting-Direktor“? Inmitten der desaströsen Finanzsituation der übrigen Theaterszene war abermals zu erleben, wie in der finanziell gut ausgestatteten Bayerischen Staatsoper leerer Aufwand um Nebensächlichkeiten inszeniert wird, statt die Kerninhalte unbekannter Werke zum zentralen, sinnlich-emotionalen Erlebnis zu machen.