Foto: Julia Wieninger und Daniel Betts in "Reise durch die Nacht" in Köln. © Stephen Cummiskey
Text:Detlev Baur, am 15. Oktober 2012
Besonders leichtfüßig kommt er nicht daher, der Saisonstart am Schauspiel Köln. Das Theater ist während der – wer weiß, wie langen ? – Sanierungszeit auf Zwischenspielstätten angewiesen. Und so begann die Saison nun mit Katie Mitchells Mayröcker-Adaption „Die Reise durch die Nacht“ in der Halle Kalk. Wieder nimmt sich die englische Video-Theater-Regisseurin einen düsteren Text einer Autorin vor. Nach Virginia Woolfs „Wellen“ ist es nun Friedericke Mayröckers Beschreibung einer Nachtzugfahrt von Paris nach Wien: „Reise durch die Nacht“. Die Erzählerin ist im engen Zug gleichsam eingeklemmt zwischen den Erinnerungen an den kürzlich gestorbenen Papa, der die Mutter schlug und ihre Puppe auseinandernahm, und der Gegenwart des verschlossen wirkenden, ruhigen Gefährten oder Manns, der allerdings den jungen Schaffner zusammenschlägt, als er seine schlaflose Frau bei Intimitäten mit der Servicekraft entdeckt. Am Schluss der Zugfahrt kommt sie an ein Ende, aber an kein Ziel. Julia Wieninger verkörpert die an den Männern leidende, ruhelose Frau, deren Schreibversuche zu Beginn der Reise scheitern. Und deren Gedanken doch – vorgetragen von Ruth Marie Kröger – dieses Bildertheater bestimmen. All die kompakte Düsternis dieser Existenz könnte einem auch auf die Nerven gehen. In der Komposition aus eingespielten Zugreisebildern, vor Ort von dunkel-gewandeten Helfern produzierten Live-Film-Bildern und Tönen entfaltet Mitchells Theater jedoch wieder einen unwiderstehlichen Sog.
Ein Eisenbahnwagon steht quer auf der Bühne, aus geöffneten, halb-geöffneten oder verschlossenen Abteilen werden assoziative Bilder aus Reise und Lebensreise entwickelt, gerät das Leben der Frau voller Bewegung in einen fast tödlichen Stillstand. Wie sie im Morgengrauen ermattet auf dem Bett liegt, wirkt die Protagonistin schon reichlich tot. Die kunstvolle Komposition und die erneut durch sensible Einfühlung beeindruckende Hauptdarstellerin überzeugen restlos. Gerade die Mischung aus klinisch perfekter Technik und rückwärtsgewandter Welt von Eisenbahnromantik und Kindheitsbildern aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts ergänzen sich zu einem schlüssigen Kosmos. „Reise durch die Nacht“ gerät damit überzeugender als Mitchells letzte Kölner Produktion: „Die Ringe des Saturn“ nach W. G. Sebalds eigenwilliger, aber doch vergleichsweise sachlicher Reisebeschreibung. Die neue Produktion ist zwar hermetischer als die geniale Woolf-Adaption der „Wellen“, in der das Zusammenspiel aus Film, Ton und Live-Spiel offener war und von Perspektivwechseln zwischen den Darstellungsebenen profitierte. Doch genau diese Hermetik passt nun ideal zum Text der eingeschlossenen Reisenden. Und zu einem Theater, dass die Bewegung des Reisens in Frage stellt.