Mouawad lässt die Figuren selbst immer wieder auf den Konflikt von „Romeo und Julia“ anspielen, das Stück (mit dem nicht unbedingt treffenden Titel „Vögel“) ist aber auch eine Variation auf „Nathan der Weise“, wo Familien- und Feindschaftsverhältnisse im Nahen Osten gleichzeitig enthüllt werden. Mit einer Mischung aus südländischer Emotionalität, Hollywood-Rezepten, well-made Dramen- und Dialogkunst und souveräner Unparteilichkeit schafft Mouawad ein Stück, das ein paar Striche vertragen könnte, aber gewiss seinen Weg über die Bühnen machen wird. Zwischen Utopie und Verzweiflung angesichts der verfahrenen Situation im Nahen Osten spielt der inzwischen in Frankreich lebende gebürtige Libanese eine globale Familiengeschichte souverän durch.
Die deutschsprachige Erstaufführung wird in Stuttgart fürs Publikum nicht einfacher dadurch, dass nur zum kleinen Teil deutsch gesprochen wird und englische, aber auch (größere) hebräische und (kleinere) arabische Teile übertitelt werden. Die Projektionsfläche dafür sind große weiße Papierwände, die, teils nach oben gezogen, die weite Drehbühne ansonsten in Zeit- und Spielräume strukturieren (Bühne: Florian Etti). In seiner Bühnenpräsenz und differenzierten Charakterdarstellung ist Itay Tiran als anfangs abwehrender und schließlich zerrissener David herausragend in einem noch etwas unebenen Ensemble; der Israeli ist ebenso neu im Ensemble wie Martin Bruchmann als Eitan, Amina Merai als Wahida und Silke Bodenbender als Norah. Die Großeltern werden von den Gästen Dov Glickman und Evgenia Dodina gespielt. Dodina gelingt es bemerkenswert eine schräge, kratzbürstige und liebenswerte Frau zu spielen.
Insgesamt übersetzen Kosminiski und das Ensemble die Geschichte überzeugend auf die Bühne; mit einer Familienaufstellung, die immer in Bewegung bleibt. Vater-Sohn-Konflikte, Geborgenheit und Enge von Familie, Ursprünge und Perspektiven in weltpolitischen Konflikten verbinden sich zu einem kleinen Welttheater. Der große, andauernde Jubel nach der Premiere zeigt, dass das Stuttgarter Publikum sich nach einem Theater gesehnt hat, das es ernst nimmt und ernsthaft die Fragen des Menschseins auf die Bühne bringt, quasi Geborgenheit durch offene Auseinandersetzung mit der Welt vermittelt.