Die Inszenierung balanciert auf der Grenze zwischen den Welten. Niemand hat hier etwas Zauberhaftes an sich. Überall beschädigte Seelen, die verzweifelt sind; da sind höchstens der Jäger und der Küchenjunge ein Lichtblick. In einem flachen Bungalow mit einer Panoramafensterfront sieht man Menschen bei Therapieübungen auf dem Boden oder (samt Prinzen) im Kreis sitzen. Oder sie bewegen sich mit verkrampfter Körperhaltung und leerem Gesicht durch den Nebel. Zur Ballettmusik tanzen sie wie Zombies zuckend und haben durchsichtige Blasen in den Händen, die Seelen oder vielleicht auch ungeborene Kinder verdeutlichen könnten. Was Paloma Figueroa hier für das Ballettstudio und den nicht nur fabelhaft singenden, sondern auch spielenden Opernchor choreographiert hat, macht die Schichten jenseits der sichtbaren Welt auf beklemmende Weise nachvollziehbar. Es sagt viel über den Wunsch etwa verstoßener, gepeinigter Frauen, aus dem Dunkel von Psychosen und Traumata ins Licht eines erfüllten Lebens zurückzukehren. Und wie sie daran scheitern. Dieser Blick hinter die Märchenfassade des Stückes wirkt bei Güssow aber nicht aufgesetzt oder gar als dekonstruierende Attacke auf das 1901 in Prag uraufgeführte lyrische Märchen, sondern fügt sich organisch in den Erzählfluss ein. Es ist diese Reise in die vielbeschworenen menschlichen Abgründe, die packt.
Anke Berndt wirft sich voll in die Sehnsucht (mit dem berühmten Lied an den Mond als Sahnehäubchen) und dann in die Verzweiflung der Rusalka. Sie wechselt vokal und vor allem darstellerisch glaubwürdig zwischen dem Wesen, das kriechen muss, weil ihre Füße miteinander verbunden sind, und der Schönheit im weißen Kleid mit den blonden Locken, die den Prinzen zunächst betört, auch wenn sie kein Wort sagt. Matthias Koziorowski sieht man als Prinzen zunächst ebenfalls in einer Therapierunde, er wird aber schnell zum virilen, zupackenden Mann, der vor der Hochzeit von Rusalka einfordert, was ihm gehören sollte.
Gesungen wird in Deutsch. Das funktioniert, da es sich um die geschmeidig gelungene Übersetzung handelt, die Bettina Bartz und Werner Hintze für die Komische Oper angefertigt haben. Weil Koziorowski seinen schmetternden Tenor bewusst vorführt, fallen auch ein paar (vielleicht nur premieren- oder erkältungsbedingt) fehlende Töne auf, was aber nicht wirklich stört. Auch die übrige Besetzung trägt ihren Teil zu einer überzeugenden musikalischen Gesamtleistung bei. Marlene Lichtenberg wechselt mühelos zwischen der diabolisch auftrumpfenden Hexe Ježibaba im strengen Kostüm und der verführerisch aufgedonnerten fremden Fürstin, die den Prinzen vor den Augen seiner Braut zu verführen versucht. Mit seiner hochpräsenten Eloquenz ist Ki-Hyun Park der väterlich warnende Wassermann, auf dessen Rat Rusalka nicht hört. Robert Sellier ist ein wunderbar lyrischer Jägersmann, der obendrein zusammen mit dem Küchenjungen (Vanessa Waldhart) auch seine Kletterkünste unter Beweis stellen muss. Liudmila Lokaichuk, Yulia Sokolik und Regina Pätzer sind drei vokal luxuriöse und optisch hippe Elfen von heute beim Picknick im Freien. Dass die den musikalisch betörenden Reigen so ähnlich wie die Rheintöchter bei Wagner eröffnen, schärft das Ohr für die Nähe Dvořáks zum deutschen Großmeister, an den man sich vor allem beim Orchesterpart an diesem Abend oft erinnert fühlt. Am Pult steht erneut (wie schon beim „Maskenball“ zur Saisoneröffnung) José Miguel Esandi. Halle hat zwar seit einem Jahr eine offiziell bestallte GMD (Ariane Matiakh), aber die Französin verweigert sich nach wie vor dem heimischen Opernbetrieb. Dass ihr Vertrag das offensichtlich ermöglicht, bleibt unverständlich und gehört zu den Hallenser Merkwürdigkeiten der lokalen Kulturpolitik. So war „Rusalka“ für Esandi ein schöner Erfolg. Vom Premierenpublikum gab es ungeteilten Beifall.