Foto: Heimliche Hochzeit auf der Klippe: Roméo (Gustavo de Gennaro) und Juliette (Sylvia Hamvasi) © Hans Jörg Michel/Deutsche Oper am Rhein
Text:Andreas Falentin, am 6. Februar 2020
Die Verortung überzeugt. „Roméo et Juliette“ in einem italienischen Küstenort. Nach hinten schließt Tatjana Ivschina ihre Bühne mit einer Meeresklippe ab. Davor ein Dorfplatz, umrahmt von angedeuteten, trutzigen Fassaden. In einer klassischen Dorfgemeinschaft spielt sich hier Gounods von Shakespeare inspiriertes Liebesdrama ab. In diesem geschlossenen System wirkt es durchaus glaubhaft, dass ein alter Konflikt, der lange auf Sparflamme geglüht hat, plötzlich und akut wieder ausbricht. Und das Geschehen lässt sich problemlos in der Gegenwart verorten.
Und im heißen August, wie das Programmheft sagt. Zu sehen ist aber eher ein Nachtstück. Philipp Westerbarkei inszeniert eine Feiergesellschaft, die nicht sehr viel Dörfliches an sich hat. Touristen vielleicht? Dafür erzählt er klar und bis zur Pause absolut unfallfrei, auch wenn Romeo nicht, wie im Programmheft beschrieben und stringent aus dem Werk entwickelt, als Outlaw erscheint. Dafür ist seine Körpersprache zu neutral, zu wenig lebensgierig. Zwei weitere, kleine Schwachpunkte: Die heimliche Hochzeit auf der nach vorne gefahrenen Klippe wirkt doch zu dekorativ und die aufgemachten akustischen Nebenschauplätze – Herzschläge in den Umbaupausen, Regengeräusche im kompletten Finale des dritten Aktes – hemmen den Fluss eher, als dass sie ihn befruchten.
Nach der Pause geht die Inszenierung dann aufs Ganze und ein wenig aus dem Leim. Dass der tote Tybalt wie eine Zombie-Parodie durch das Geschehen geistert und Juliette ins Hochzeitskleid steckt, wirkt geradezu niedlich. Dass der sterbende Romeo mit dem „leeren“ Hochzeitskleid kuschelt, das er für seine Geliebte hält, das sie vielleicht auch vorstellen soll, wirkt gar nicht. Die Antwort darauf, wie sich diese schwierige lange Szene mit Gift und Scheintod und Tod theatralisch vitalisieren lässt, kommt aus dem Orchestergraben. Was Marie Jacquot und die Duisburger Philharmoniker nicht nur hier machen, darf als magisch beschrieben werden. Das Orchester durchläuft alle Empfindungen von glasharten Momenten der Streicher bis zum süßesten Oboenlauf, gleichzeitig schwingt das Pendel der Tragik immer weiter aus. Was gerade durch die souveräne Disposition berührt, dadurch, dass sich diese Musik wie naturgegeben ereignet und doch immer künstlerische Gestaltung behauptet und einlöst.
Dazu kommt ein hervorragend zusammengestelltes Sängerensemble, in dessen absolutem Mittelpunkt natürlich das namensgebende Liebespaar steht, das mit den Stimmen vielmehr sagt, erlebbar macht, als mit den Körpern. Seit 2001 singt Sylvia Hamvasi an der Deutschen Oper am Rhein. Ihre Juliette ist also mit Sicherheit keine Kindfrau. Aber sie liebt und leidet glaubhaft. Ihre berühmte Arie „Je veux vivre“, der Traum von der Freiheit, der Flucht aus gesellschaftlichen Zwängen, klingt bei Hamvasi erschütternd erwachsen, ohne dass sie den Koloraturen irgendetwas schuldig bliebe. Sie zeichnet ihre Figur nicht mehr mit dem Silberstift, sondern nutzt eine breite Farbpalette, in der auch unreine und Zwischentöne ihren Platz haben. Ihre Phrasierung, vor allem ihre differenzierte dynamische Gestaltung der Partie beeindrucken stark. Und Gustavo de Gennaro ist schlicht eine Ohrenweide. Er gebietet über einen leicht bronzierten lyrischer Tenor, der frei strömt und den er subtil zu führen weiß, zumal ihn Marie Jacquot sicher über alle der vielen musikalischen Klippen der vertrackten Partie geleitet. So werden die großen Duette dieses so ganz verschiedenen Sängerpaares wirklich zu Momenten, wo die Zeit stillsteht. Dazu kommt ein hochmotivierter, frisch gestaltender Chor und ein homogenes Solistenensemble, aus dem hier stellvertretend die anstrengungslos elegante Miriam Albano (Stéphano) und der sehr präsente Luvuyo Mbundu (Grègorio) genannt sein, beide mit attraktivem, technisch gut beherrschtem Stimmaterial, was für die nähere Zukunft einiges erhoffen lässt.
Königin des Abends war aber eindeutig Marie Jacquot, die das Stück nicht nur organisch erfasste und selbstverständlich präsentierte, sondern Solisten, Chor und Orchester ein verlässlicher Partner war und es erreichte, dass Gounods feine musikalische Bezüge in keinem Moment romantischer Expansion aufgeopfert wurden.