Der Filmmann (Johannes Fritsche) kennt nur den Blick durch den engen Sucher, die Opernfrau (Malgorzata Pawlowska) nur den in die Partitur. Der Theaterregisseur (Marcus Sandmann) liest mehr in seinen Büchern, als er zuhört – und wird doch zum Zentrum der Inszenierung. Dazu wird natürlich nicht Verdi gesungen, sondern Eötvös – mal hoch, empört und grimmig, mal ratlos-leise. Marcus Sandmann umkreist Töne, setzt Klang-Punkte und -Akzente. Dann schmettert er Theaterblut auf die Bühne, zu hohem Schmerzensgesang.
Das ist, in der Regie von Jürgen Pöckel, so verwirrend wie grotesk und wird durch das Mit- und Gegeneinander von Sopransaxophon, Horn, Tuba und Klavier nur verstärkt. Und es ist wirklich alles drin: Theater-im-Theater, Opern-Parodie und gesungenes Nachdenken über diese Kunstform. Dazu sängerische und musikalische Klasse unter GMD Leo Siberski. Was die Regisseurin im Stück aber nicht davon abhält, ihren Helden mit einem roten Samtmantel zu erwürgen.
Verantwortung für den Tod
Dann wird es ernst und die Bühne zur Todeszone. In 15 Baumklötzen stecken ebensoviele Äxte. Eötvös‘ „Harakiri“ beginnt und Regisseur Jürgen Pöckel selbst spricht aktualisierten Eingangstext des Komponisten. Für den Zeitpunkt seines Todes sei der Mensch verantwortlich, heißt es in der Erläuterung des Selbstmord-Rituals. „Außer in einer Katastrophe, wie sie zwei Flugstunden von hier passiert“, ergänzt Pöckel am Tag, an dem Putin ein ukrainisches Atomkraftwerk angreifen lässt.
Dann waltet der „Holzhacker“ seines Amtes. Der hochaufgeschossene Johannes Fritsche – in schwarzer Samurai-Hose, Kopf und Körper rot geschminkt – zerschlägt Holzklötze. Präzise, rituell, unerbittlich, wie eine Lebensuhr, bei der die Zeit heruntertickt. Diese Frist scheint für die „Japanische Sprecherin“ (Risa Matsushima) oder einen Menschen, den sie betrauert, abgelaufen. Das Betrachten der Fotos am Anfang des Abends haben nicht geholfen. Nun klagt sie mit Singen, Singsang, einzelnen Tönen. Sie bewegt sich um die Bühne, begegnet dem Holzhacker, schlüpft schließlich zwischen und unter die Äxte.
Damit korrespondiert der Dialog zweier Bassklarinetten (Uwe Gleitsmann und Holger Heberlein), die das menschliche Sprechen durch- und nachspielen. Bald hell und frohgemut, dann zögernd-dunkel, nahe am Verstummen. Längere Tonlinien kommen zu Fanfarenstößen. Leo Siberski dirigiert die beiden Solisten so präzise wie den Holzhacker. Im Takt seiner Schläge vollzieht die „Sprecherin“, nun im kunstvollen Kimono, das „Harakiri“-Ritual – und endlich verharrt der Holzhacker. Betroffene Stille vor dem Applaus für diesen besonderen Abend.