Foto: Nina (Tiffany Köberich) in "Everything Belongs To The Future" am Theater Kiel © Olaf Struck
Text:Jana Beruth, am 2. März 2020
Ein verlockend blau schimmerndes Bällebad, ein rostiger Truck, der von vergangener Idylle und Flower-Power-Träumen kündet, ein Boot, das niemals fortschwimmt, und ein Podest, auf dem eine Alte zwischen Staunen und Resignation dem Leben nachsinnt. Es ist ein bisschen wie im Abenteuerland in dem Bühnenbild, das Ausstatterin Nina Sievers ins Studio im Kieler Schauspielhaus gebaut hat und das die Zuschauer in den Zwischenräumen locker eingemeindet.
Spielplatz für Laurie Pennys „Everything belongs to the future“ – 2018 bei der Uraufführung in Dortmund gefeiert und jetzt in der Inszenierung von Annette Pullen in Kiel im Schauspiel-Studio zu sehen. Es geht um den Kampf um die Wunderdroge „The Fix“ im 2016 erschienenem Roman der streitbaren englischen Feministin (Jahrgang 1986). Der beschert den Menschen im Jahr 2098 über die Droge ewige Jugend, spitzt aber auch – weil sie nur dem hilft, der sie auch bezahlen kann – den ewigen Klassenkampf zu.
Eine Dystopie, die der Wirklichkeit, in der über Werbung und Medien das Streben nach ewiger Jugend zum Leitbild geworden ist, gar nicht so fern liegt.
Vier Schauspieler spielen sie zwischen den Zeiten, Schauplätzen und Denkräumen zirkulierend durch. Und über allem thront Kammerschauspielerin Almuth Schmidt als schnell gealterte Heldin Nina. Eben hat sie noch als jugendliche Kämpferin zum finalen Schlag gegen das System ausgeholt. Jetzt scheint ihre Zeit vorbei, wie sie da sitzt, allein mit ihrem Spiegelbild, wie im Selbstgespräch. Was ihr geblieben ist, ist Deutungshoheit; im Rückblick lässt sie die Geschichte Revue passieren.
Von der Zeit als jugendliche Kämpferin im Truck mit Lover Alex, mit dem sie den Reichen „The Fix“ geklaut hat, um es in Robin-Hood-Manier unter die Bedürftigen zu bringen. Von Daisy, die „The Fix“ erfunden hatte, sich nun aber mit den Rebellen verbündet und etwas viel Monströseres entdeckt. Und von der Zeitbombe.
In filmischen Schnitten und Überblendungen collagiert Annette Pullen die Erinnerungsschnipsel zu einer Art Chronik, in der es (mit Laurie Penny) um ungefähr alles geht: Klimawandel, Liebe, Kunst und Politik … Ein Amalgam, dem Pullen versucht, das Parolenhafte auszutreiben. Stattdessen haucht sie Pennys arg schematischen Helden Leben jenseits von Traktat und Doktrin ein – mitsamt emotionaler Verstrickungen. Das macht die Figuren menschlicher, aber auch banaler.
Da hat Tiffany Köberichs aufmüpfig punkige junge Nina wenig Möglichkeit, sich über das Bild der radikalisierten Kämpferin und enttäuschten Liebenden hinaus zu entwickeln. Und auch Tony Marosseks Alex bleibt gefangen in der Rolle des zwischen Eigenliebe und Klassenkampf zerrissenen Revoluzzers. Spannender sind die Bösen im Spiel mit ihrem zwischen Star Trek und Galaxy Quest futuristisch schillernden Outfit. Maximilian Herzogenrath gibt den Manager der Wunderpille als raumgreifenden Partylöwen und gewieften Einpeitscher. Und Anne Rohde spielt die Wissenschaftlerin Daisy mit replikantenhafter Künstlichkeit und mephistophelischer Doppeldeutigkeit so locker wie eindrucksvoll in das Zentrum des Abends.
So puzzelt sich die Geschichte spannend zusammen, mit starken Momenten, wenn Daisy nonchalant im Bällebad versinkt oder die alte Nina sagt: „Das ist das Gesicht, das mir schon immer zusteht. Es macht mich unsichtbar.“ In solchen Sätzen kommt die zwischen allen Polen schillernde Erzählung auf den Punkt. Aber Pennys an vielen Enden ausfransender Roman bleibt auch auf der Bühne unübersichtliches Gelände. Und so liegt Annette Pullens gar nicht düstere Inszenierung am Ende dem spannenden Zukunftsabenteuer und der Love-Story näher als der gesellschaftskritischen Brisanz.