Foto: Rex Osterwald (Lukas Rüppel) © Residenztheater
Text:Michael Laages, am 28. April 2021
Hier spricht ein Psychopath, der gern Verführer wäre. Schlimmer noch: Rex Osterwald – so hat der Dramatiker Michel Decar das Monstrum genannt, das da um die Stimmen von Wählerinnen und Wählern buhlt – lässt zwischendrin immer mal wieder und ganz zum Schluss komplett die freundliche Maske fallen. Da entpuppt er sich tatsächlich als „Tyrannosaurus Rex“, als mörderischer Dinosaurier, wie Steven Spielbergs „Jurassic Park“ entsprungen. Die Journaille im Land bezeichnet ihn ja schon den ganzen Wahlkampf über als „T. Rex“, und damit ist nicht Marc Bolans durchaus weniger gefährliche Pop-Band aus den 70er Jahren gemeint. Nein – Herr Osterwald ist zutiefst beleidigt und würde Journalistinnen und Journalisten, die ihn derart diskreditieren, am liebsten mundtot machen und die vermaledeiten Blätter verbieten. Da ist er jemandem wie zum Beispiel dem brasilianischen Möchte-gern-Diktator Bolsonaro sehr ähnlich. Aber noch darf er niemanden vernichten per Kanzler-Dekret, noch will er noch gewählt werden für das Terror-Regime, das der Dino mit den scharfen Zähnen plant.
Die Strategie, die Decar ihm mit auf den Weg gegeben hat (und die Osterwald-Darsteller Lukas Rüppel vom Münchner Residenztheater angemessen aasig und dauerlächelnd exekutiert in David Mosers Inszenierung), hat es in sich. Osterwald spielt die Rolle des ewigen Rattenfängers, flötet uns zielstrebig alle verdrängten Sehnsüchte nach Wohlstand und Rundum-Zufriedenheit aus Ohren und Hirn hervor; dass er in der immerwährenden Umarmung der zukünftigen Untertanen auch Militarismus, Nationalismus und die Verachtung aller anderen hochleben lässt, könnte vielleicht mit der Zeit gar nicht mehr auffallen. „Ich liebe doch alle Menschen!“ – in delirantem Gefasel wie einst Erich Mielke beim letzten Auftritt in der Volkskammer der DDR will er jeden und jede dort abholen, wo Wählerin und Wähler gedanklich zu Hause sind; alle Themenfelder sind präsent, aus denen auch die selbsternannten Polit-Alternativen hierzulande Honig saugen. Wer mag, kann all die Weidels und Gaulands wieder erkennen, die die finstersten „Denk“-Muster des Wahlvolks salonfähig machen.
Aber auch alle Europäer sollen sich gefälligst entschuldigen bei denen, die ohnehin immer alles besser wussten, also uns, repräsentiert durch Rex Osterwald; denn der liebt uns ja alle. Wenn alles gut geht für ihn, gehört ihm morgen Deutschland – und übermorgen die ganze Welt. Wenn da nicht die Gegenkandidatin Kolatschny wäre, die Osterwald bis aufs Messer bekämpft, so wie sie ihn, den Dinosaurier.
Michel Decar unternimmt den nicht ganz risikolosen Versuch, das auch ganz ohne Dinosaurier schon ziemlich wahnsinnige Wahlkampf-Getue ins Unerträgliche zu steigern, das uns ja schon mit den verlogenen Kür-Vorgängen bei Grün und Schwarz gehörig auf die Nerven ging. Eine Geschichte wie die mit den geretteten Kätzchen, die Osterwalds Sympathiewerte steigern helfen sollen, wäre vielleicht nicht auf der Ebene der Kanzlerschaft, aber in tieferen Tiefen der Wahlkreis-Provinz durchaus vorstellbar. Viele der verführerischen Haltungen, die Decar diesem Kandidaten mit auf den Weg gibt, mögen uns darum durchaus vertraut verkommen. Zum Problem des Textes allerdings wird der von Beginn an immer wieder deutlich spürbare Wahnsinn in Herrn Osterwalds Wahlkampf-Show. Wirklich ernst zu nehmen ist der Dinosaurier immer nur für Augenblicke, im Ganzen aber leider nie.
David Moser stellt die Figur vor den roten Vorhang im Residenztheater; wir, das kleine Publikum in der Zoom-Konferenz, dürfen uns sozusagen als erste Reihe empfinden. Gelegentlich wird Herrn Osterwald (per Kamera-Wechsel, nun nicht mehr frontal, sondern von links aufgenommen) irgendetwas zugerufen oder herein gereicht: ein Stück Kuchen („…hoffentlich nicht vergiftet von Kolatschnys Anhängerschaft!“) oder ein Transport-Korb mit den erwähnten Kätzchen drin. Wirklich klasse sind dann aber die irrlichternden Überblendungen in eine Art Regie-Raum, von wo aus Osterwalds Auftritt gesteuert wird – auf dem Bildschirm in diesem Raum ist der Kandidat witzigerweise immer deutlich erkennbar als der Dino, der er ist.
Auch die vorweg gefilmten Video-Sequenzen sind sehr pfiffig; teils noch mit den Schnitten drin kenntlich, wenn der Kandidat allzu viel Unfug verbreitete, oder als echte kleine Spielszene draußen vor dem Theater, wo Osterwald eine potenzielle Wählerin wie eine Ekel-Klette verfolgt und sie (als sie nicht zuhören will) von einer hohen Treppe stößt. Ja – Osterwald hat das Zeug zum Killer. Gleich darauf frisst er die Assistentin, weil sie ein Video über einen exotischen Vogel leicht verspätet einsetzte in der Show und damit die ganze Idiotie des Werbe-Gags entlarvte; dann fängt er an, uns Zoom-Teilnehmer ein bisschen zu beleidigen und zu bedrohen, frisst sich im Folgenden durch die erste Reihe und durchs ganze Theater. Draußen auf dem Platz vor dem Theater wird er glücklicherweise von einem zufällig vorbeikommenden Meteoriten erschlagen.
Andere Rettung war offenbar nicht mehr möglich im unaufhaltsamen Aufstieg des Rex Osterwald. Ein fröhlich-finsteres Wahlkampf-Massaker hat Michel Decar herbei phantasiert – wir werden ab jetzt genauer drauf achten können, wer uns in den nächsten Monaten wie und womit zu überzeugen versucht; und genau hinschauen, ob Kandidatin und Kandidat eventuell Reißzähne im Maul haben.