Was Tonsetzerin Raquel García-Tomás und Librettistin Helena Tornero unter dem Rubrum „komische Oper“ auftischen, ist bis in jede Silbe und bis in den letzten Takt komplett durchgeknallt. Freilich restlos gewinnend. Die Chuzpe, mit der Garciá-Tomás während der knapp anderthalb Stunden Spieldauer Ragtimes wie aus der Music Hall, Blues, Filmmusik zu Cartoons in „Tom und Jerry“-Manier, Anspielungen auf das Musiktheater des 19. Jahrhunderts vom Tristan-Akkord bis zu „Sì. Mi chiamano Mimì“ verquirlt, erobert Hörende im Sauseschritt. Dafür, dass die Tonsetzerin mit vielen Wassern zeitgenössischen Komponierens gewaschen ist, bürgt elektroakustisches Hintergrundrauschen. Wenn bei solch‘ fröhlichem Eklektizismus ein Personalstil kenntlich wird, dann im Zupackend-Gestischen der Musik für Klothilde und den sie zu den Rendezvous mit dem Geliebten hinauf- und wieder herabbefördernden redseligen Liftboys.
Spanische opera buffa in deutscher Sprache
„Ich, ich, ich!“ wurde unter dem Titel „Je suis narcissiste!“ vor fünf Jahren in einer Produktion des Madrilener Teatro Real aus der Taufe gehoben und gelangt nun in Gießen zur deutschen Erstaufführung. Trotz französischen Titels ist die Sprache des Librettos Spanisch. Arno Lücker hat es geistreich-elegant übersetzt. Regisseurin Ute M. Engelhardt gibt dem Werk der beiden in ihrer spanischen Heimat vielfach ausgezeichneten Autorinnen, wessen es ganz unbedingt bedarf: Sinn für das Groteske und vor allem das Potpourrihafte und bisweilen gar Anarchische der Dramaturgie und musikalischen Faktur.
So nötigt Klothilde den dazu unwilligen vermeintlichen Therapeuten immer wieder, ihr Gehör zu schenken, indem sie sich Beachtung erheischend auf die Liege im Sprechzimmer wirft. Brillant, wenn der Liftboy der nichtsahnenden Klothilde ein Licht über die dichte Taktung von Damenbekanntschaften im Terminkalender des Geliebten aufsteckt. Des Letzteren Bestattung gerät zur Revue, in der jede der trauernden „Witwen“ sich in Positur wirft. Die Asche des Don Juan aber ruht in einer phallischen Urne. Das Blumenarrangement ergänzt, welche Details sonst noch zum Gemächt des Verblichenen zählten. Prisca Baumanns und Kerstin Grießhabers Bühne beschränkt sich jenseits solcher Aperçus auf zwei mittels Drehscheibe häufig bewegte Wände: die eine schwarz und glamourös, die andere wie zu einer indessen ungenutzten Greenbox gehörig. Die Kostüme überzeichnen Baumann und Grießhaber teils bis zur Karikatur.
Musikalisches Spaßbonbon
Aus dem Graben lassen sich die Gießener Philharmoniker unter Andreas Schüller von den Pointen und Volten der Partitur hörbar infiziert vernehmen. Der Klangkörper scheint instrumental beständig zu kichern. Polina Artsis bietet für die von den Ereignissen überfahrene, doch immerfort wie unter Sprechzwang agierende Klothilde ihren ebenso raumgreifenden wie wunderbar gerundeten Mezzo auf. Die weitere Solistin und die beiden Herren sind mit jeweils bis zu sechs Rollen befasst. Annika Gerhards brilliert als stimmlich wie spielerisch hinreißend eitle Performancekünstlerin. Den zwar charmanten, aber sein Insiderwissen wenig diskret an die Frau bringenden Liftboy verkörpert der fabelhaft gewitzte Ferdinand Keller. Tomi Wendt verleiht dem Psychologen Dr. Giovanni Tempesta die Attitüde eines irren Psychologen respektive den Therapeuten mimenden Irren.