Die Rezensionen der Uraufführungs-Inszenierung vor drei Jahren am Schauspiel Köln konzentrierten sich vor allem auf diese in die Stimmenpolyphonie eingewobenen, raffiniert miteinander verknüpften Kriegsgeschichten und warfen dem Stück wie auch der Inszenierung von Lily Sykes vor, in der kunstvoll komponierten Indirektheit des dramatischen Erzählens die Dringlichkeit des Kriegsthemas verfehlt zu haben. Bei Sapir Hellers Lübecker Inszenierung würde dieser Einwand ins Leere laufen, denn sie macht sehr deutlich, dass es dem Text nicht per se um die Kriegsgeschichten selber geht, sondern fast mehr noch um genau diese Frage: Ob Kunst mit ihrer wesenseigenen Artifizialität vor der existenziellen Dringlichkeit des Kriegs-Themas nicht versagen muss. Auch in diesem reflektierten Selbstzweifel der Kunst gegenüber dem Krieg kann man durchaus eine der im Untertitel thematisierten „Verweigerungen“ sehen.
Ein Lama fragt: Warum?
Schon die Bühne ist in Lübeck eine Feier der Künstlichkeit: Anna von Leen hat sie mit einem von Glühbirnen gerahmten Podium für die großartige Sampler-Musikerin Rahel Hutter instrumentiert, die mit ihrem Fransen-Ärmel-Kostüm für die Performerin Naomi stehen könnte und deren Percussions-Soundscape der Inszenierung einen faszinierenden Klangraum gibt; und mit einem popbunten Styropor-Lama, das seine Bühnenexistenz offenbar der im Text formulierten Behauptung verdankt, dass das hebräische Wort „Lama“ auf deutsch „warum“ bedeute. Um das Lama und die Klangperformerin herum wirbeln die sechs bestechend präzise sprechenden und agierenden Schauspieler Astrid Färber, Andreas Hutzel, Samantha Ritzinger, Henning Sembritzki, Vinzenz Türpe und Will Workman. In ihren repetitiven Textschleifen und einem Comedy-haft überzeichnenden Overacting vergegenwärtigen sie die Kriegsgeschichten, die aber immer als ästhetisches Experiment erkennbar bleiben, als ein „Könnte es vielleicht so gewesen?“, das permanent seine eigenen Setzungen infrage stellt.
Tatsächlich wirkt die ganze Inszenierung so wie eine Auseinandersetzung mit der bereits im Vorspiel thematisierten Frage nach der Möglichkeit einer Definition von Kunst: Dass die immer wieder im „Blablabla“ strandet, ist ein klares selbstkritisches Statement: Kunst ist im Angesicht des Krieges immer in Gefahr, sich im artifiziellen Gelaber zu verlieren. Vor dem Hintergrund des aktuellen Weltgeschehens kommt einem allerdings unversehens eine ganz andere Frage in den Sinn: Ist das mögliche Versagen der Kunst wirklich das Hauptproblem, das unsere Gesellschaft mit dem Krieg hat? Der Abend ist brillant gemacht: witzig, turbulent, technisch präzise. Aber er wirkt schon auch wie eine sich in Selbstironie erschöpfende Kunst-Kunst, der der Krieg gerade recht kommt als Anlass zur quietschfidelen Nabelschau.