Foto: Szene aus der UA „Fluss, stromaufwärts” am Schauspiel Leipzig © Rolf Arnold
Text:Ute Grundmann, am 25. November 2019
Timisoreana-Dosenbier gibt es beim Wolf an der Bar, mitten in der Vorstellung. Doch nicht nur dafür müssen die Zuschauer in der „Diskothek“ von ihren weißen Gartenstühlen aufstehen: Sie werden auch in Reihen ausgerichtet wie im Flugzeug. Das würden auch Tino, Effie und Lachs gerne besteigen – oder doch lieber zu Hause bleiben? Gibt es eine Zukunft in der Heimat oder nur anderswo? Diese Fragen der jungen Generation, nicht nur in Rumänien, stellt die junge rumänische Autorin Alexandra Pazgu in ihrem Stück „Fluss, stromaufwärts“. Mit der Uraufführung scheuchte Regisseur Gordon Kämmerer Inhalt, Schauspieler und Publikum durch die Kleine Bühne des Schauspiels Leipzig.
Es beginnt wie eine „Wasserglas-Lesung“ unter einem weißen Fischgerippe. Thomas Braungardt (Tino) kommt mit Gipsbein und Rollstuhl herein, „ein Mißgeschick gestern bei ‚Lazarus‘“ – doch beides trägt er schon in den vorproduzierten Einspielern. Die beiden anderen Pulte besetzen Effie (Marie Rathscheck) und Lachs (Michael Pempelfort), stellen Autorin und Titel vor, beginnen mit der Vorrede dazu, doch dann räumen Bühnenarbeiter erst mal auf und um. Einer von vielen Perspektivwechseln, die noch folgen werden in diesem ersten Stück, das Alexandra Pazgu auf Deutsch geschrieben hat. Im rumänischen Sibiu (ehemals Hermannstadt) geboren, zweisprachig aufgewachsen, lebt sie seit fünf Jahren in Wien, wo sie 2018 mit dem exil-Literaturpreis ausgezeichnet wurde. Ihre Stücke glichen mehr einem Konzert als einem Theaterstück, „wie das letztendlich umgesetzt wird, hängt vom Regisseur ab“.
Das ließ sich Gordon Kämmerer nicht zweimal sagen und setzte auf’s Absurde in verschiedenen Medien. Bühnendialoge werden im Film fortgesetzt, Vampirgemälde beginnen zu sprechen. Der „Lachs“ wäscht sich mit einem Hummer unter der Dusche, wird später zum Alien mit Mickey-Mouse-Maske. Kostenlose Suppe gibt es bei einem nörgelnden Koch, die Tafel dafür ist mit Plastikdecke, üppigen Blumen und silbernem Totenkopf geschmückt. Der Wolf tigert, nach erfolgter Bierausgabe, durch‘s Publikum. Das ist 80 Minuten kurz, turbulent, verwirrend, auch mal übergeschnappt, aber ganz unterhaltsam.
Alexandra Pazgus Stück behauptet sich. „Sollen wir leben wie Eltern und Großeltern?“ fragen sich die drei und streiten. Es wird zu einer Konferenz über den „Mythos Europa“ geladen und erwartbar die Hymne gespielt, Skepsis nicht nur hier. Natürlich wird auch so Weltbewegendes wie „Whatsapp oder nicht“ geklärt, gibt Effie fröhlich „Prosit und Parolen“ aus. Doch die Autorin bleibt dran: Wo kommt man an, wenn man in die Fremde geht, wer und was bleibt zurück? Soll man gegen den Strom schwimmen oder mit ihm? Und bei der Uraufführung am Abend der rumänischen Präsidentenwahl klang auch kurz eine Stimmung im Land an: In der Ehe könne jeder machen, was er wolle, aber nur zwischen Mann und Frau. Doch das bleibt die Ausnahme, Pazgu fächert hier leise und beharrlich die große Frage „Wie leben?“ auf. Zusammensetzen muss der Zuschauer das Puzzle selbst.