Foto: Ensemble von "Komplexe Väter" an der Komödie Winterhuder Fährhaus © Michael Petersohn
Text:Dagmar Ellen Fischer, am 22. September 2018
Diesen Abend hat keiner gewollt. Dass er dennoch stattfindet, ist der präzisen Planung einer versierten Strippenzieherin zu danken: Die Mutter einer 25-Jährigen fädelt ein Treffen ein, dessen Besetzung purer Sprengstoff ist. Indem sie jeden der Eingeladenen mit einem frei erfundenen Beweggrund lockt, bringt sie ihre Tochter und deren neuen Freund, ihren Ex-Mann als biologischen Vater sowie ihren aktuellen Ehemann und tatsächlichen Erzieher der Tochter dazu, einen Abend miteinander zu verbringen. So weit – so typisch die Ausgangslage für eine gelungene Boulevard-Komödie. Als solche erwies sich das jüngste Stück „Komplexe Väter“ des Autors René Heinersdorff, der auch für Inszenierung und Bühnenbild verantwortlich zeichnet sowie zusätzlich die Rolle des Tochter-Freundes übernimmt.
Im Zentrum steht die Eignungsprüfung eines potenziellen Schwiegersohns vor drei Elternteilen – in Zeiten der Patchwork-Familie. In erster Linie ist die Mutter schlichtweg neugierig auf den Partner ihrer Tochter, doch mindestens ebenso motiviert sie die Hoffnung, die zwei Väter könnten anlässlich dieses Treffens ihre über zweieinhalb Jahrzehnte gepflegte Feindschaft beenden. Tatsächlich erfüllt sich ihre Hoffnung, allerdings zu einem hohen Preis: Die beiden komplexen Väter verbrüdern sich im gemeinsam entwickelten Beschützerinstinkt gegen den Freund der Tochter, weil er erstens zu alt, zweitens noch verheiratet und drittens ihr ehemaliger Therapeut ist. Der kehrt in genau dieser beruflichen Eigenschaft den Spieß um und lässt die sich immer noch feindlich gesinnten Kontrahenten in einem therapeutischen Szenario gegeneinander antreten.
Heinersdorff versteht sein Handwerk, der Text hat eine großartige Pointen-Dichte; als Autor jongliert er mit den für guten Boulevard lebensnotwendigen Klischees, ohne in Plattitüden abzurutschen. Vieles spricht dafür, dass er die beiden Protagonisten schon vor seinem geistigen Auge hatte und ihnen die Gags quasi in den Mund schrieb: Jochen Busse als auf Sicherheit bedachter Erzieher, und Hugo Egon Balder in der Rolle des unzuverlässigen Erzeugers; als doppelte Nebenbuhler in Bezug auf Mutter und Tochter liefern ihre Gefechte reichlich Zündstoff und somit Anlass zu gut gesetzten Boshaftigkeiten. Alexandra von Schwerin gewinnt im Laufe des Abends souverän an Profil, Katarina Schmidt bleibt indes blass als Tochter, die sich gegen die lebenslang verordnete Rolle als Kind gut meinender Eltern wehren muss. Dass sie nur dem Vorbild ihrer Mutter folgt, die sich ebenfalls ihrerzeit für einen deutlich älteren Mann entschied, bietet ebenfalls die Steilvorlage für Komik über Paare mit großem Altersunterschied und Frauen mit Vaterkomplex.
Mit einem Satz wie „Willkommen geht nicht einher mit ‚wir schaffen das‘!“ wird die persönliche mit einer politischen Ebene verknüpft. Auch fehlt es dem Stück nicht an Running Gags, wie beispielsweise jenem über eine Nasenoperation, die aus unterschiedlichen Perspektiven zu witzigen verbalen Missverständnissen führt. Die Premierenfeier in der Komödie Winterhuder Fährhaus weitete sich an diesem Abend zum Fest anlässlich des 30-jährigen Bestehens des Theaters aus, das mit prominenten Gästen begangen wurde.