Die Musik von Jacques Offenbach, die Nestroy für sein Stück benutzte, ist allerdings verschütt gegangen. Als übersteuert-schräge Instrumentaleinlage gibt es den Cancan aus „Orpheus in der Unterwelt“, und zum Auftritt des Häuptlings Biberhahn vom Stamme der Papatutu „Also sprach Zarathustra“ von Richard Strauss. Nestroys Handlung und viele Dialoge jedoch haben die Bearbeitung überlebt. Häuptling Abendwind wartet auf das Eintreffen Biberhahns zu einem Staatsbesuch. Natürlich muss ein Braten auf den Tisch, doch das Jagdglück war seinen Kriegern nicht hold. Auch die Gefangenen wurden längst aufgegessen. Praktischerweise naht soeben ein blondgelockter Friseur, in den sich Häuptlingstochter Atala zwar verliebt. Aber Liebe geht ja bekanntlich durch den Magen.
Bei Nestroy waren die Menschenfresser kenntliche Zerrbilder der Mächtigen seiner Zeit. Das Politikerbashing interessiert die Dortmunder allerdings überhaupt nicht. Sie feiern das Kreatürliche des Menschen, die Triebhaftigkeit, die Lust am Extremen. Mit den Songs „Vegane Pampe“ und der „Stinkmösenpolka“ attackieren die „Kassierer“ angepasstes, politisch korrektes Denken. Und die Schauspieler sauen mit Spaghetti, Tomatensoße und durchfallartig brauner Flüssigkeit herum, dass es eine Freude ist. Die Bühnenperformances der „Kassierer“ glichen immer schon Amokläufen des Regietheaters. Am Ende fallen die Männerhosen zum Lied „Mein schöner Hodensack“.
Nichts kommt an diesem Abend schockierend oder provokant rüber. Das Publikum ist voller Fans, die so etwas erwarten. „Häuptling Abendwind“ ist eine Feier der Freiheit von allen Normen, eine Party des sinnlosen Vergnügens, ein Rausch. Und damit dem Geist der Operette sehr nah, auch wenn die Ästhetik natürlich eine ganz andere ist. Die Bezeichnung „Punk-Operette“ hat schon einen Sinn. Vor allem bedienen sich die Dortmunder nicht einfach nur – wie es im Stadttheater schon oft geschehen ist – einer subkulturellen Kunstform, ohne sie wirklich zu kapieren. Diese Aufführung ist echter Punk.