Diese Welt, die jedem narrativen Illusionismus eine Absage erteilt, fordert eine auf Stilisierung und Sinnbilder setzende Personenregie heraus. Merkwürdigerweise führt Yona Kim ihre Darsteller aber über weite Strecken psychologisierend realistisch. Dagmar Pecková beispielsweise spielt die Brangäne wie die intrigante Zofe aus der Buffo-Oper. Und über dem Handeln und Hantieren in der Liebesnacht liegt streckenweise eine fatale Geschäftigkeit, wenn etwa Tristan sich am Waschbecken erst noch das Gesicht netzt, bevor die Nacht der Liebe hernieder sinkt, oder wenn er seine Geliebte dekorativ auf dem weißen Bett drapiert, um dann zagend vor ihr zu knien, als bete er ein unerreichbares Idol an – ein Liebhaber mit Ladehemmung, so verklemmt, dass er die Hände nicht aus den Hosentaschen bekommt. Das kommt keineswegs von ungefähr. Später, in einer surrealen Szene auf Kareol, geistert Tristans alte Mutter in Nachthemd und Wollsocken auf der Bühne herum und lockt den Sohn mit einem Spielzeughund. Als dann hinten lauter schicke Gesellschaftsdamen mit dem Rücken zum Publikum auf den Sitzmöbeln Platz nehmen, bis Herren im Abendanzug (wie zuvor König Marke) ihnen edle Pelzmäntel (wie Isolde einen trug) umhängen und sie dann wegführen, da bleibt nur die Mutter zurück, die Tristan liebevoll zulächelt. Ein sprechendes Bild: hinten pflegt die etablierte Gesellschaft ihre konventionellen Partnerbeziehungen, vorn ist das verdruckste Muttersöhnchen zu einer solchen Beziehung nicht fähig. Ist also Tristans hypertroph übersteigerte Liebespassion die Folge eines unbewältigten Mutterkomplexes? Resultiert sie aus einer pathologischen „Verschiebung“, mit der er etwas heilen will, was in dieser Welt nicht mehr zu heilen ist: den Tod seiner Mutter bei seiner Geburt?
Da hat Yona Kim genau gelesen: Die „alte Weise“ erinnert Tristan ja tatsächlich an den Tod von Mutter und Vater, und genau an diese Erinnerung knüpft er sein Schicksalsmotto: „…mich sehnen – und sterben!“ Nur ist doch sehr die Frage, ob Wagner damit wirklich auf eine psychoanalytische und letztlich realistische Motivation der Tristan-Liebe zielt, die diese ihrer philosophischen Transzendenz beraubt. Ist „Tristan und Isolde“ wirklich eine klingende Psychopathologie des bürgerlichen Liebeslebens? Das wäre aber gleichwohl diskutabel, wenn Yona Kim es denn wirklich klar herausarbeiten würde. Aber zu oft scheinen Bildlichkeit und Personenregie aneinander vorbei zu laufen. Kraftvolle Effekte (die schwarze Farbe, die in der Liebesnacht an der Wand herabläuft) werden weder vorbereitet noch konsequent aufgenommen. Und zu oft verzettelt sich die Inszenierung in anekdotischer Belanglosigkeit. Der Liebestrank beispielsweise: Dass Brangäne das fatale Fläschchen in letzter Minute wegwirft und Mineralwasser pur verabreicht, so dass hier also (wie unlängst auch bei Tilman Knabes Mainzer Inszenierung) ein Trank ohne Aphrodisiakum verabreicht wird und es folglich allein der _Glaube_ an den bevorstehenden Tod ist, der Tristan und Isolde zum Eingeständnis ihrer Liebe bringt: das passt zum Stück ebenso wie zu einer Inszenierung, der es um psychologische Analyse geht. Aber dass Brangäne zunächst umständlich einen Drink mit Coca Cola in Erwägung zieht, danach mit Red Bull und Bionade hantiert, bevor sie endlich beim klaren Sprudel landet – muss man das wirklich so genau wissen? Am Ende bleibt der Eindruck einer interessanten Inszenierung, die aber in ungenauer Zerfahrenheit nicht wirklich auf den Punkt kommt.
Auch das Dirigat von Alexander Joel ist nicht ohne weiteres auf einen Nenner zu bringen. Vorspiel und Teile des ersten Aktes spielt der Braunschweiger GMD recht laut und in der Ausformulierung der Orchesterstimmen sehr plastisch. Obwohl er das akkurat und klangschön musizierende Orchester dann auch immer wieder ins Piano zurücknimmt, bekommt die Musik damit etwas hochbewusst „Gemachtes“. Sie klingt interessant und passt so in gewisser Weise zu Yona Kims Inszenierung, verliert aber ihre charakteristische Sogwirkung. Aber dann, spätestens mit dem Vorspiel des dritten Aufzuges, ist diese Aura plötzlich da, als wäre es nie anders gewesen. Silvana Dussmann ist als Isolde hochpräsent, singt aber ebenfalls vieles lauter als nötig, wobei ihre Stimme grell und undifferenziert aufflackert und jene gestalterische Finesse verliert, die sie in ihren Piano-Passagen zeigt. John Uhlenhopp klingt als Tristan von Anfang an belegt und angestrengt, gestaltet aber differenziert und bringt in den Ekstasen des dritten Aufzugs Stimmklang und Ausdruck eindrucksvoll zur Deckung. Selçuk Hakan Tirasoglu ist ein kraftvoller Marke, der allerdings die Silben stemmt wie Wackersteine, ohne sie zum Bogen zu fügen. Ein Kurwenal ganz eigener Prägung ist Oleksandr Pushniak: klar und dunkel im Timbre, elegant und geradezu „italienisch“ biegsam in der Linienführung. Dagmar Pecková ist eine Brangäne mit heller Höhe und satter Tiefe, aber die Überblendung der Register fehlt völlig. Und Tobias Haaks schließlich – er stellte sich als wunderbar schlanker und klarer junger Seemann sein vokales Kapitänspatent aus.