Szene mit Maria Bengtsson (Daisy Buchanan)

Protz nicht so romantisch

John Harbison: The Great Gatsby

Theater:Semperoper Dresden, Premiere:06.12.2015Regie:Keith WarnerMusikalische Leitung:Wayne Marshall

Eine Europäische Erstaufführung gibt es an der Semperoper auch nicht alle Tage. Hier liebt man das Bewährte und käme wohl mit seinen beiden Richards (Wagner und Strauss) und etwas Mozart ganz gut über die Runden. Zu dieser ausgeprägten Vorliebe für’s spät- bzw. postromantische Schwelgen passt John Harbisons „The Great Gatsby“. Immerhin die letzte im 20. Jahrhundert uraufgeführte Oper: Im Dezember 1999 gönnte sich James Lewin zu seinem Silberjubiläum an der New Yorker Met dieses Auftragswerk. 

Von heute aus gesehen, klingt sie freilich viel älter. Wobei sich Wayne Marshall am Pult der Sächsischen Staatskapelle mit viel Verve ins Zeug legt und es sowohl krachen lässt als auch gefühlig zu schwelgen vermag. Die Musik schafft Atmosphäre, wechselt Stimmungen und beglaubigt das Parlando. Doch nicht nur, wenn Charleston, Foxtrott, Tango oder Ragtime direkt zitiert werden, klingt das oft wie aus der Zeit um 1925, als F. Scott Fitzgeralds Roman herauskam. US-typisch ist der mehrfach verfilmt worden, unter anderem 1974 mit  Robert Redford und zuletzt 2013 mit Leonardo DiCaprio in der Titelrolle. Aus diesem Welterfolg hat sich Harbison selbst das Libretto destilliert: eine Melange aus dekadentem Glamour der Roaring Twenties, amerikanischem Aufsteigertraum, Fremdgehen, Über-die-Stränge-schlagen, Spekulieren und Abstiegsängsten. Womit sich die Oberschichtenamerikaner halt so beschäftigen. 

Jay Gatsby ist dabei der reich gewordene Millionär, von dem keiner weiß, wie er zu seinem Geld gekommen ist. Als er in den Krieg zog, wurde seine angebetete Daisy die Ehefrau von Tom Buchanan (Raymond Very). Der hat ein Verhältnis mit der Frau eines  kleinen Garagenbesitzers. Dazu kommen noch der Chronist Nick (John Chest) und die unabhängig mondäne Golferin Jordan (Christina Bock). Alles gerät unter dem wirtschaftlich eingedunkelten Himmel alsbald auch privat ins Rutschen. Die alte Liebe flammt nicht nur wieder auf, sondern wird heftig angefacht. Doch als das Cabrio mit Daisy am Steuer und Gatsby daneben ausgerechnet die Geliebte von Tom überfährt und Gatsby als Möchtegern-Kavalier die Schuld auf sich nimmt, wird er vom Ehemann erschossen, bevor der sich selbst erschießt. All das eine ziemlich amerikanische (Un-)Rechtspflege also. 

Nach der Pause zieht sich der Dreistunden-Abend spürbar. Da wirkt der musikalische und szenische Aufwand für diesen Oberschichtenstress so großspurig überbordend wie die bewusst in Übergröße auf die Bühne gestellten weißen Terrassenmöbel und Blumenschalen. Szenisch hat Keith Warner ein passendes Ambiente geschaffen. Wobei die Bühne von der Mischung aus Industrieambiente und Silhouette und dem ausgestellten amerikanischen Hang zum Großkotzigen lebt. Der Entwurf zur Bühne stammt vom 2014 verstorbenen Johan Engel, den jetzt Matthew Rees umgesetzt hat. Das rassistische Südstaatenerbe und die dunklen Seiten der Industrie bleiben nur Andeutung; verschwinden am Ende gänzlich hinter dem allgemeinen Philosophieren des Chronisten übers Leben. 

An der Spitze des durchweg überzeugenden Ensembles: Peter Lodahl als elegant geheimnisvoller Gatsby und die charismatische Maria Bengtsson als seine selbstbewusste Daisy. Eine Europäische Erstaufführung, die Dresden mit aller gebotenen Sorgfalt gestemmt hat. Nützen wird ihr das – zumindest hier in Deutschland – nichts.