Szene aus "Penthesilea" in Konstanz.

The Power of Love

Heinrich von Kleist: Penthesilea

Theater:Theater Konstanz, Premiere:01.10.2017Regie:Leonie Böhm

Man kann Kleist verändern, wenn man es kann. Was hat man nicht alles über diese Tragödie einer absoluten Liebe, „Penthesilea“, geschrieben, Goethe hielt den Autor gar für einen Psychopathen. Irgendwie erscheint es verquer, wie die Ereignisse in dieser antiken Welt vor Troja eingebunden werden in die biografischen Sehnsüchte des unter Preußen leidenden Dichters. Was hat das alles mit unserer heutigen Welt zu tun? Ist „power of love“ ganz aus unserer Welt entschwunden, oder gibt es immer noch Menschen, die so absolut lieben, dass sie zugrunde gehen müssen?

Der Konflikt der Penthesilea, die zwischen ihrer absoluten Subjektivität und ihrer kulturellen Prägung durch die Gesellschaft der Amazonen zerrieben wird, spiegelt vor allen Dingen eine Lebensphase des Menschen wider, in der sich immer neu die Sehnsucht nach einer absoluten Liebe artikuliert: der Jugend. Genau hier auch setzt die junge Regisseurin Leonie Böhm „Frei nach Heinrich von Kleist“ an, die gerade Furore mit ihrer „Nathan“-Inszenierung auf dem Festival „Radikal jung“ machte. Nach hinten hin ist die Bühne von Sören Gerhardt abgetrennt durch einen Vorhang aus Plastikstreifen, die schemenhaft erkennen lassen, was hinter diesem Vorhang sich ereignet. Im Spielraum von Sören Gerhardt selbst gibt es nur links hinten Ständer mit zwei Gitarren, sowie einem runden Podest, das in seiner Struktur an ein Podest für eine Löwendressur erinnert. Und so beginnt die Vorstellung mit einem hinter dem Plastikstreifenvorhang gesungenem „Power of Love“, wobei sich die Akteure mit einer Nebelmaschine „abduschen“, sozusagen als Sinnbild, wie „vernebelt“ alle diese Figuren sind. Erst dann treten sie auf, zwei Männer in Frauenkleidern. Einer schiebt dabei spielend ein elektrisches Klavier vor sich her und singt mit hoher Stimme. Er wird vom zweiten Spieler, der sich als Prothoe, die Vertraute Penthesileas, einführt, als Oberpriesterin vorgestellt. Zugleich auch machen sie das Publikum an, spielen mit den Klischees von Mann und Frau. Gender muss nicht verbissen sein, sondern kann Spaß machen.

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Vom ersten Augenblick an ist klar, hier wird Theater gespielt, wobei die tragische Konzeption von Kleist in spielerischer Komödiantik und Leichtigkeit sich auflöst. Schon die Kostüme von Mascha Mihoa Bischoff zeigen die Spuren einer Partylaune, tragen doch Tormasz Robak als Prothoe und Johannes Rieder als Oberpriesterin Relikte von Partykleidung, ohne ihre Männlichkeit zu leugnen. Johanna Link als später hinzukommende Penthesilea trägt sportliche Trainingskleidung, als käme sie gerade vom Jogging. Und Lukas Vögler tritt als Achill, der dann auch noch sein Schlagzeug auf einem Podestwagen herein zieht, in einem grotesken Morgenmantel auf. Darunter trägt er ein Trikot, wie man es von Zirkusakrobaten kennt. So geben die Kostüme dem Spiel Strukturen. Klar doch, dass in diesem stark körperbetonten Spiel das wilde Tier sich nicht bändigen lässt, dass Achill mit dieser Taktik scheitern muss. Erst als er zu zärtlichen Tönen greift, ganz sanft wird, scheint eine Annäherung möglich.

Es ist erstaunlich, wie das Konzept von Leonie Böhm aufgeht. Obschon nur noch wenig Text von Kleist – „Bisse Küsse“ dürfen da nicht fehlen – geblieben ist, gelingt es vor allen Dingen Johanna Link, die Verse so zu sprechen, als kämen sie aus der Seele eines heutigen jungen Menschen. Erstaunlich auch, dass man in dieser spielerischen Übertragung, die sich auf die Beziehung zwischen Penthesilea und Achill konzentriert, von den Handlungspunkten nichts vermisst: die wichtigen Wendepunkte in dieser Beziehung, sie sind alle da. Sie spiegeln sich auch in der musikalischen Struktur des Abends. Zwischen „Power of Love“ von Jennifer Rush bis hin zu „Joga“ von Björk spannt sich der von Johannes Rieder geschaffene musikalische Bogen, der die Handlung nicht nur atmosphärisch, sondern auch emotional stützt und damit zu einer wichtigen Klammer des Abends wird.

Nach 70 Minuten ist der Abend schon zu Ende. Man hat Spaß gehabt, aber auch Kleist, mehr noch erfahren, wieviel Gegenwärtigkeit in diesem alten Text steckt. Manchmal allerdings scheint das Spiel in diesem abstrakten Raum zu losgelöst aus allen historischen Bindungen und Kontexten, als bloße Versuchsanordnung.