Zivilisation und Animalisches
Regisseurin Bettina Jahnke etabliert mit dem siebenköpfigen Ensemble in dieser Zweitaufführung auf der Großen Bühne (!) eine geschlossene Welt, die Thiers tierische Figuren nicht ironisch bricht, andererseits die animalischen Aspekte der Gestalten eher andeutet. Die Bühne und die Kostüme von Dorit Lievenbrück zeigen einen grauen Bunkerraum und zerstreute Teile einer Elefantenskulptur. Bei dem – durch den Baustoff Elfenbein – umstrittenen und an zentraler Stelle von unsichtbaren Spechten zerstörten Werk handelt es sich also durchgehend um eine Andeutung. Und so sind es auch die prägenden Identitäten der Figuren. An der Universität geht es für Direktor Niedlich darum, „sich wie ein zivilisiertes Tier zu bewegen“. Das führt nicht nur durch den von der Politik forcierten Fleischkonsum aller Spezies zu Pervertierungen in dieser hoch zivilisatorischen Tiergesellschaft.
Die konsequente Fabel spitzt geschickt aktuelle Fragen wie Umgang mit Minderheiten bzw. ihren spezi(es)fischen Wünschen und Bedürfnissen, Mechanismen des Raubtierkapitalismus oder Ungerechtigkeiten des Bildungssystems zu. Sie könnte bei humorloser Auslegung auch als Abbild eines identitären Kastendenkens aufgefasst werden. Andererseits funktioniert die Parabel nur in ihrer absurden Überdrehung. Sie erzählt die Geschichte eines eskalierenden Protests, indem in Gesprächen oder Verhören durch Pferd und Polizeidirektor Vollblut das Geschehen mit Rückblenden auf die Ereignisse des Tages der Denkmaleröffnung verbunden werden. Diese unterschiedlichen Zeitebenen bleiben räumlich und darstellerisch verbunden; die Regie vertraut den klaren Dialogen und baut keine überdeutlichen zusätzlichen Zeichensysteme auf.
Tierisches Theater
Insgesamt bietet die anderthalbstündige Potsdamer Inszenierung ein erfreuliches Ensemblespiel. Laura Maria Hänsel erzeugt durch ihre langsam wippenden Bewegungen als bedächtige und eigensinnige Elefantin eine besondere Energie und steht damit im Gegensatz zum nervösen, in sich verdrehten Kater von Jan Hallmann. Weniger dankbar ist die zentrale und ermittelnde Figur Vollblut, die René Schwittay zwischen Schergen, einfachem Funktionär und aufrechtem Freund der Wahrheit zeigt. Sein Sohn Remonte wird von Paul Sies anfangs als beschränkter Polizist und am Ende als von der weisen Elefantin in jeder Hinsicht Geheilter gezeigt: „Kein Pferd muss Polizist sein“ ist ihr Mantra. Sophia Hahn ist das nervöse Eichhörnchen, Janine Kreß die Künstlerin, die um ihre Scharnierfunktion im Kunstbetrieb weiß.
Am Ende stellen sich alle gegen Machtmensch Greif, von Bettina Riebesel mit intellektuelle Überlegenheit anzeigenden und zugleich aggressiv wirkenden Armwischern gespielt, die bis zum Ende eine undurchschaubare Gestalt bleibt. Insgesamt geht die Aufarbeitung des Konflikts im Finale von „Zähne und Krallen“ etwas rasch. Textkürzungen, aber auch offene Fragen (hinsichtlich der familiären Vorgeschichte von Elefanten und Adlern) in dem dramatischen Gedankenexperiment lassen das Ende offen. Stück und Inszenierung bieten insgesamt unterhaltsames und anregendes Zeittheater jenseits der Studiobühne.