Foto: Barbara Freys Inszenierung der "Drei Schwestern" in Zürich. Dagna Litzenberger Vinet, Sylvie Rohrer, Friederike Wagner © Matthias Horn
Text:Tobias Gerosa, am 12. September 2014
Am Schauspielhaus Zürich eröffnet die Direktorin Barbara Frey die Saison wie gewohnt selber mit einem Klassiker. Ihre „Drei Schwestern“ sind gewohnt stilsicher und sauber, aber irgendwie blutleer.
Im Provinznest der drei Schwestern scheppert noch die sowjetische Nationalhymne aus dem Transistorradio. Nur der Text, der von den Offizieren wodkaselig daraufgepasst wird, entsprach sicher nie der offiziellen Version: „Ein Hoch auf Irina!“
Diese untergegangene Hymne und etwas, was sowjetischer Provinzchic gewesen sein könnte auf Bettina Meyers Bühne: Barbara Freys Tschechow-Inszenierung scheint das Stück neu situieren zu wollen. Doch die ersten Minuten erweisen sich rasch als falsche Fährte. Wann und wo die Handlung spielt, ist Frey (wie Tschechow) egal. Recht lange baut Frey eine Komödie auf (und animierte das Premierenpublikum zu fröhlichem Gekicher), erreicht aber trotzdem irgendwie keine Fallhöhe, um die Resignation, den Stillstand am Ende plausibel zu machen.
Natürlich ist das Stück so gut, dass es auch hier funktioniert. Friederike Wagners Olga regt sich über ihre Situation so auf, dass sie langsam verlöschen lassen kann und Sylvie Rohrer vermag in der resignierte Mascha mit dem Auftauchen Werschanins immer wieder neue Hoffnungsschimmer aufscheinen zu lassen. Schwieriger ist’s für alle andern Figuren, die kaum Tiefe entwickeln können – auch Dagna Litzenberger Vinets Irina, trotz äußerlicher Wandlung vom Girlie zur Lodenträgerin in klobigen Schuhen (Kostüme: Bettina Munzer). Tusenbach, Soljony und auch Arzt Tschebutykin sind von der ersten Szene an ausdefiniert: Ein verlorener Schöngeist Christian Baumbach, ein bedrohlicher Vulkan Millian Zerzawy und ein stoischer Zeitungsleser Johann Adam Oest. Da braucht es Oests Timing und Ruhe, um die Spannung erhalten zu können. Oder Nicolas Rosats Dosierung, mit der er den Lehrer Kuligyn in seinen Stimmungen schwanken lässt.
Bei andern Rollen wie dem Bruder Andrej oder seiner Frau Natascha kommt gar nie Spannung auf, weil die Figuren zu oberflächlich bleiben. Oder sie passt nicht, was die Wirkung von Stefan Kurts subtilem Werschinin beschneidet. Dass Mascha sich in ihn verliebt, ihn ihrem braven Lehrer („Klugmensch, nicht Gutmensch“) vorzieht, ist nachvollziehbar. Dass dieser Typ der neue Kommandeur und Chef sein soll, kann man sich nicht recht vorstellen. Und das irritiert in einer Inszenierung, die auf Psychologie setzt.
Es fehlt der große Bogen, es fehlt, dass der Niedergang dieser Gesellschaft insgesamt und über die vier Akte gesehen wird. Die einzelnen Szenen „stimmen“, das Ensemble arbeitet oft musikalisch und genau am Text. Doch sie wirken wie Papierfackeln. Sie flammen rasch auf, sind aber genauso rasch abgebrannt. Und dann kommt jemand herein oder jemand geht hinaus. Fertig. Es ist damit wie mit den immer wieder eingespielten Musikfetzen zwischen französischem Chanson und Prokofjew-Klavierkonzert: Es ergibt sich kein Ganzes aus den Einzelteilen, der Abend ist näher an einem Album mit verschiedenen Songs als durchkomponierte Oper.
Zwischen den Akten macht die Drehbühne eine Runde, immer sitzt jemand stumm hinter dem Haus. Zuerst der Diener Ferapont (Siggi Schwientek), dann die verzweifelten Tusenbach und Soljony. Schon zur Pause sind die Figuren und Situationen so klar, dass der dritte Akt fast verlustlos gestrichen werden könnte. So wird aus dem Klamauk des Anfangs ein ziemlich langes Ausblenden.