Meinrad ist erfolgreicher Regierungschef eines mitteleuropäischen Landes. Aber er gefährdet seine Macht zusehends, wird in den falschen Momenten aggressiv, zeigt mit dem Finger auf die falschen Leute. Seine Machtbasis, seine Beliebtheit bei Volk und Partei ist stark gefährdet. Muss er zurücktreten? Hat er noch den Willen zur Macht? Er scheint das berühmte „Momentum“ verloren zu haben. Seine Frau Ebba dagegen hat nach wie vor hohe Beliebtheitswerte. Die Ehe scheint glücklich. Als aber Dieter, der Spin Doctor, der langjährige Berater Meinrads vorschlägt, auf einem Fest solle sie statt ihm reden, um Pluspunkte für ihn zu sammeln, lehnt er ab. Man sieht, wie sehr das Paar von dem Leben, das es führt, gezeichnet ist. Er nimmt Anti-Depressiva, weil es ihm nicht gelingt, seine inhaltlichen Ziele politisch umzusetzen. Sie nimmt Amphetamine, um ihre Passivität und die Anstrengungen des Repräsentierens aushalten zu können. Es kommt zur Krise, Ebba fällt ins Koma. Als sie wieder bei sich ist, verlangt sie von Meinrad, sie bei ihrer eigenen Kandidatur für das Amt der Regierungschefin zu unterstützen, wie sie es viele Jahre lang für ihn getan hat. Er ist entrüstet. Das Ende bleibt offen.
Wie Ebba von diesem Leben aufgefressen wird und es doch unbedingt haben will, wie Meinrad in all seinem glaubhaften Idealismus durch den unreflektierten, fast weinerlichen Umgang mit seinem Ego und vor allem durch die in seinem Kopf offenbar festgeklopften Geschlechterrollen limitiert wird, das zeigen Vekemans und ihr Uraufführungsregisseur Roger Vontobel in sehr differenzierten und glaubwürdigen Charakterstudien. Und Christian Erdmann und Jana Schulz erspielen das präzise und virtuos, geben ihren Figuren vor allem Leben und Seele. Wie dieser ganze Abend vor allem ein „Momentum“ der Schauspieler ist. Wie Kilian Land mit Künstlerknopfleiste am Sweat-Shirt sachlich den sich an seinen eigenen Skrupeln berauschenden, nur scheinunabhängigen Poeten gibt. Vor allem aber wie Wolfgang Michalek den Spin Doctor Dieter gibt, muss man einfach gesehen haben. Da ist jeder Satz, jede Wendung geschliffen, rund oder spitz, stützend oder angreifend, dabei immer zielbewusst. Dazu die aufdringliche Koks-Nase, der leicht durchscheinende Hedonismus. Da steht ein wissendes Arschloch auf der Bühne, das die Welt und ihre Abgründe kennt, darunter leidet und doch in der Lage ist, uns dazu zu verführen, diese Welt durch seine Augen anzusehen.
Bleibt das ungeborene Kind Ebbas. Andre Kaczmarczyk überführt die Rolle in eine Art Eitel-Tanz, zeigt ein Porträt des Schauspielers als selbstverliebter Poser vor. Man nimmt das mit, weil Kaczmarczyk ein außergewöhnlich begabter Schauspieler ist, aber die Stringenz von Vontobels Inszenierung fasert mit dieser Figur aus. Die dennoch benötigt wird. Das Kind liefert gleichsam den Anmerkungsapparat zu Stück, ist die z-Achse zum zweidimensionalen Koordinatensystem aus politischem Drama und privater Tragödie, enthüllt die Ängste und Erbärmlichkeiten unter der glanzvollen Oberfläche und versorgt das Publikum ausführlich mit Erläuterungen und Ideenfundament, was nicht an jeder Stelle notwendig erscheint. Spätere Regisseure werden mutmaßlich den einen oder anderen Wortschwall, nicht nur des Kindes, durch Striche portionieren und so aus einem sehr gut geschriebenen Theatertext einen herausragenden machen. Bei einer Uraufführung muss man sich naturgemäß stellen.
Vontobel hat sich dafür von Klaus Grünberg einen Laufsteg mit parallel ausgerichteten Stühlen bauen lassen, der Assoziationen weckt: Modenschau – ausgestellt sein, Flugzeug – gefangen sein in einer Blase. Tina Kloempken kostümiert souverän und passgenau, vielleicht mit Ausnahme der Ledermontur für das zehnjährige Kind und Ebbas Nachthemd in der ansonsten in spannender Abstraktion gehaltener Krankenhausszene. Gelegentlich neigt die Inszenierung zu sanftem Aktionismus und hätte hier und da der Ausdruckskraft ihrer Schauspieler noch mehr vertrauen dürfen, statt sie Stühle umstoßen oder sie sich über den Laufsteg kugeln zu lassen. Auch die Musik von Matthias Herrmann, die braven Piano-Riffs, die merkwürdigen Soundcollagen knapp oberhalb der Hörschwelle, erscheint kaum zwingend.
Dennoch: eine sehr gute Aufführung eines sehr wesentlichen Stückes, dass nur da Schwächen hat, wo die Autorin ein wenig gewaltsam ihr Play well made macht. Dass Meinrad impotent ist, kann sein, aber muss deshalb ausgerechnet Dieter jene Fehlgeburt gezeugt haben? Nur weil kein anderer da ist? Auch dass das Kind in Ebbas Bewusstsein tritt, weil es einen Namen haben will, lassen wir uns als Existenzberechtigungsbehauptung gerne gefallen. Aber muss es deshalb einen kriegen? Und dann auch noch Felix? Ist unsere Welt wirklich noch so übersichtlich?