"Let Them Eat Money - Welche Zukunft?!" am Deutschen Theater Berlin

Polit-Gewurschtel

Andres Veiel in Zusammenarbeit mit Jutta Doberstein: Let Them Eat Money - Welche Zukunft?!

Theater:Deutsches Theater Berlin, Premiere:28.09.2018 (UA)Regie:Andres Veiel

Die Geschichte war und ist und bleibt speziell. Vor Jahresfrist hatte der Film- und Theater-Dokumentarist Andres Veiel internationale Expertinnen und Experten auf der einen und interessiertes Publikum auf der anderen Seite ins Deutsche Theater Berlin eingeladen, um über Zukunft zu diskutieren; und im speziellen nachzudenken über Szenarien, wie sie sich logisch und wie unvermeidlich aus der Gegenwart zu entwickeln scheinen, den Ist-Zustand also sozusagen hochzurechnen auf die nächsten zehn Jahre. Darauf folgte im Frühjahr ein Symposium, ausgerichtet vom Humboldt Forum und unter dem Titel „Der nächste Staat – Rethinking state“; am Ende des Prozesses soll im Frühjahr übernächsten Jahres eine Konferenz stehen, die fragen soll, ob „die Katastrophe noch aufzuhalten“ sei; die eher finsteren Perspektiven also markieren weiterhin den Denkrahmen des Langzeitprojektes. Und so sieht nun auch das Theaterstück aus, das als Stufe Drei der Veranstaltung Premiere am Deutschen Theater feierte.

Andres Veiel selbst und Ko-Autorin Jutta Doberstein haben hundert Theaterminuten mächtig auf- und letztlich überladen mit Problemstruktur – 2028 hat sich im Internet eine Art terroristischer Plattform etabliert, die sich „Let them eat money“ nennt, also „Lasst sie Geld fressen!“ fordert. Die Gruppe entführt Polit-Prominente, foltert und befragt sie wie in stalinistischen Schauprozessen. Über Schuld und Sühne sollen am Ende die „Follower“ im Netz entscheiden, nachdem es keine ordentliche Rechtsprechung mehr gibt. Denn die Staaten samt EU, nach dem Austritt Italiens bald geschrumpft zur „Nord-EU“, sehen sich einem alternativen Ordnungsmodell gegenüber – ein größenwahnsinniger Wirtschaftsmagnat mit wissenschaftlichen Schreckens-Projekten hat in den Meeren Inselstaaten gegründet, die wie Unternehmen funktionieren, weil deren Bewohner „shareholder“, also Anteilseigner sind. Erstaunlicherweise wurden auf diesen Inseln mehr Geflüchtete aufgenommen als je zuvor in der alten EU; und auch eine der zukunftsträchtigsten Polit- und Wirtschaftsstrategien, die des bedingungslosen Grundeinkommens, ist auf den Inseln zwar komplett durchgesetzt, damit aber auch pervertiert worden; denn über alles Einkommen verfügt ja die „Nova“-Gruppe des abgedrehten Wirtschaftsmonsters Tarp. Der war einst beruflich und privat liiert mit dem aktuellen EZB-Chef – der Kampf dieser beiden (um den möglichen Neustart Europas und gegen die privatwirtschaftlichen Inselstaaten) geht im Stück von Runde zu Runde, parallel zur Frage-Folter durch die Aktivisten.

Ach ja: In Video-Projektionen flimmernde virtuelle „Butler“ gibt’s und automatisierte Befragungs-Computer, Tarps Firma hat den Menschen auch Chips implantiert, die jede Privatheit zerstören. Zudem grassiert eine Krankheit, die schlimmer wirkt als Alzheimer und Parkinson zusammen, und eine der EU-Funktionärinnen im Kreuzverhör ist von ihr schon genau so befallen wie eine der Rachegeister-Frauen aus dem Netz. Dann musste natürlich auch noch ein bisschen Liebe her: Innerhalb der Terror-Truppe (Frau mit neuem Freund und Tochter von früher), unter den schwulen Wirtschaftsbonzen und schließlich zwischen der EU-Frau und einem unbotmäßigen Gewerkschaftler. Was für motivisches Durcheinander! Wer da den Durchblick behalten möchte, hat wirklich viel zu tun.

Und vor lauter Mühe mit diesen unentwirrbar in- und miteinander verstrickten Handlungsstrukturen scheint völlig aus dem Blick geraten zu sein, dass dies kein futurologischer Kongress, sondern ein Stück Theater sein sollte. Schon die brockig-hölzerne Sprache, aufgelockert durch gelegentliche Anfälle von Kitsch, wenn’s irgendwie um Emotionen geht, verursacht nichts als gedanklichen Nebel auf der Bühne; und dass die bevorzugten Folterwerkzeuge der Netz-Terroristinnen lange Seile sind, die aus dem Bühnenhimmel herab hängen (die Opfer sind mal mehr, mal weniger schmerzhaft in ihnen vertäut), schafft zwar Arbeit für einen Spezialisten in „Luft-Akrobatik“ auf der Lohnliste der Produktion, sonst aber nichts; nicht mal ästhetischen Reiz. Auch optisch wird das Publikum eher mit der Bratpfanne behandelt: Das Terror-Trio ist ganz in Neopren-Schwarz gehalten, die befragten Funktionsträger eher in bunt, und die Wirtschaftslenker tragen – meine Güte! – Silber und Gold.

Einziger Lichtblick im Polit-Gewurschtel: ein Paketdienst-Fahrer, der den Job verlor und nun die Entführungsfahrten erledigt, von früher und aus dem Osten aber auch noch Brechts „Lob des Kommunismus“ kennt – „er ist das Einfache, das schwer zu machen ist.“ Ein Mensch wird hier sichtbar unter all den fürchterlichen Abziehbildern; einer wie wir. Auch er sieht aber eher so aus, als wäre ihm die Logik und Logistik dieser theatralischen Selbstüberhebung eher schnurz und piepe. Ob sich dieses ambitiös-wissenschaftliche Zukunftsprojekt wohl noch erholt von dieser Verirrung ins Theater?