Foto: "Sunset Boulevard" bei den Schlossfestspielen in Ettlingen © Jochen Klenk
Text:Eckehard Uhlig, am 24. Juni 2016
Manche Sprechtexte wirken umständlich, ohrwürmelnde musikalische Highlights sind eher selten. Andrew Lloyd Webbers Musical „Sunset Boulevard“ nach dem gleichnamigen Billy Wilders-Film wurde von der Kritik als mittelmäßig eingestuft und wegen Problemen mit der Star-Besetzung in New York und London mehrfach abgesetzt. Was freilich die Interpreten im badischen Ettlingen, wo „Sunset Boulevard“ die traditionellen Schlossfestspiele eröffnete, daraus gemacht haben, kann sich hören und sehen lassen. Regisseur und Festspiel-Intendant Udo Schürmer sowie sein Regie-Team (Bühne Steven Koop; Kostüme Anne Weiler; Choreographie Bart de Clercq) konnten dem Stück eine glänzende Politur mitgeben, obwohl selbst die bekannten Lieder in teils holpriger deutscher Übersetzung geboten werden.
Allerdings ist auf der Freilichtbühne im Schlosshof kein realer Swimmingpool zu betrachten, der zur Villa der Hollywood-Diva Norma Desmond gehört und in dem die Leiche des erschossenen Drehbuchautors Joe Gillis treibt. Doch der thrillerhafte Skandaleinstieg wird immerhin von Polizisten, fotografierenden Paparazzi und anderen angelockten Neugierigen vorgetäuscht – passend zur barocken Illusionsmalerei auf der Schaufassade des Schlosses. Dann tritt Joe wie gehabt lebendig aus der Seitenkulisse und leitet frisch und frei die Rückblende seines eigenen Ablebens ein. Links ist das überdimensionierte Logo der Paramount Studios zu sehen, rechts eine zuletzt mit golden schimmerndem Traumlicht überzogene Revue-Treppe, auf der man divenhaft herab- und hinaufschreiten kann. So wird die Sunset Boulevard-Atmosphäre in ihrer extravertierten Hektik dicht eingefangen. Und oben im offenen Balkon des Corps de logis dirigiert Jürgen Voigt ein Orchester mit Streichern, Bläsern, Reeds, Percussion und Keyboards, das den typischen, von der Tontechnik manchmal lärmend aufgedrehten Sound kreiert.
Schürmers Inszenierung überzeugt mit einer crescendohaft aufgebauten Spannung, die sich schlussendlich dramatisch entlädt. Und vor allem haben die Ettlinger mit ihrer Starbesetzung überhaupt kein Problem, sondern kongeniale Lösungen gefunden. Abgesehen von der eigenartigen Szene, in der Norma den Tod ihres Hausschimpansen betrauert, agiert Betty Vermeulen geradezu bilderbuchhaft in der Rolle einer vergessenen, gealterten Hollywood-Diva, die das Verblassen ihres Ruhms nicht ertragen kann. Ihre leitmotivisch wiederholten, mit lyrisch klangschöner Stimme intonierten Songs „Nur ein Blick“ und „Träume aus Licht“ könnten doch noch Hit-Qualitäten erreichen. Ihr Schluss-Auftritt als durchgeknallter Möchtegern-Star im flitterglitzernden Fummel mit bekröntem, wild aufgelöstem roten Haar ist unter dem Wahnsinns-Arien-Titel „Kein Star wird jemals größer sein“ ein darstellerisches Meisterstück.
Thomas Klotz ist als Joe Gillis, der ihr Comeback mit dem Filmdrehbuch zu „Salome“ herbei schreiben soll und den sie am Pool erschießt, weil er sie verlassen will, ein gleichrangiger Partner. Sein ebenfalls in mehrfacher Reprise hervorgehobener Titel-Song klingt bravourös kraftvoll mit durchschlagender Wirkung. Die im Musical übliche Mikrofonierung kommt auch den kleineren Stimmen zugute. Dorothée Kahler erfreut als Film-Assistentin Betty glockenhell singend mit ihrem Kleinmädchen-Charme. Hans Neblung ist als Max der verschworene Butler (und verflossene Ehemann) der Diva und auch mit Kopfstimmen-Haltetönen von monströs dunkler Gestalt. Musicalquirlig tragen nicht zuletzt die minutiös einstudierten Tanz-Ensembles am Set und in Hotel-bars zu dem unterhaltsam aufgelockerten Festival-Abend im stimmungsvoll ausgeleuchteten Hof des Ettlinger Schlosses bei. Da es sich um eine Kino-Adaption handelt, lautet das Fazit: Empfehlung mit Prädikat.