Szene mit Udo Samel und Matthias Habich

Pointierter jüdischer Humor

Michel Bergmann: Herr Klee und Herr Feld

Theater:Hamburger Kammerspiele, Premiere:15.05.2022 (UA)Regie:Ulrike Maack

„Sie ist nett, fleißig – und sie vergiftet uns nicht. Noch nicht!“ Vorsichtig formulieren die Brüder Moritz und Alfred Kleefeld, zwei jüdische Mittsiebziger, das erste Urteil über ihre neue Haushälterin aus Palästina. Sie wiederum nennt die beiden zur besseren Unterscheidung „Herr Klee und Herr Feld“ – so der Titel des 2013 erschienenen dritten Teils von Michel Bergmanns Trilogie über jüdisches Leben in einer deutschen Großstadt. Gemeinsam mit seiner Frau Anke Apelt arbeitete der Autor den eigenen Roman für die Uraufführung an den Hamburger Kammerspielen zum Drama um.

In der Alters-Zweck-WG

Entsprechend viel ist vom pointierten jüdischen Humor geblieben. Den haben die beiden unterschiedlichen Brüder in ihrer Alters-Not-und-Zweck-WG auch bitter nötig: Moritz, ehemals Professor der Psychologie, hält religiöse Regeln sowie die von ihm formulierten Ordnungsprinzipien im Haushalt aufrecht – immerhin ist es seine Villa, in die er seinen jüngeren Bruder aufnahm; Alfred jedoch, ein Ex-Schauspieler zweitklassiger Horrorfilme, nimmt es mit Regelwerken nicht so genau und hält sich ans Lustprinzip. Täglich streiten sie mit durchaus vergleichbarem Ernst über offene Zahnpasta-Tuben und die Einhaltung der Schabbat-Gebote. Als die bewährte Haushaltshilfe kündigt, muss möglichst schnell Ersatz ins Haus – und beide entscheiden sich für die junge, schöne, kluge Zamira.

Anzeige

„Sie ist Palästinenserin, ganz ohne Sprengstoffgürtel“, berichten sie ihrer Verwandtschaft in den USA. Mit solch zynischen Bemerkungen verbergen beide Brüder indes nur schlecht ihre Zuneigung zu der jungen Frau. In ihrer Gegenwart fühlen sie sich jünger und lebendiger, nicht zuletzt, weil sie die beiden älteren Herren ständig herausfordert. Wenn sie von ihrem Leben unter israelischer Besatzung erzählt, bringt sie die Brüder zwangsläufig in eine Situation, zur Politik des jüdischen Staates Stellung zu nehmen. Andererseits zwingt der Holocaust und die Lebensgeschichte der Kleefelds Zamira dazu, zwischen Juden und Israelis zu differenzieren. Auf diese Weise geben mitunter schon kurze Nachrichtenmeldungen Anlass zu hitzigen heimischen Streitgesprächen, da sich beide Parteien auf der richtigen Seite der Historie wähnen und aus ihrer Sicht durchaus überzeugende Argumente vorbringen. 

Die Faszination des pausenlosen 100-minütigen Abends liegt in der allmählichen Verschiebung von diesem (natürlich nicht aufzulösenden) Konfliktpotenzial hin zu einem selbstverständlicheren Umgang miteinander, der die Unterschiede – wie sie zuvor ja ohnehin schon zwischen den Brüdern bestanden und nun halt in eine Dreiecksbeziehung ausgeweitet werden – gelten lässt.

Wortwitz unterm Davidstern

Der bühnenraumhohe, aus Traversen gebildete und nach vorne kippende Davidstern als Hintergrund wirkt allzu plakativ. Organisch indes fügen sich die ausgewählten Videosequenzen ein, die Szenen außerhalb der Kleefeld-Villa zeigen. Mal subtil, mal drastisch ist der Wortwitz des Michel Bergmann, den die Inszenierung in entsprechenden Facetten aufgreift. Im Epizentrum (tatsächlich rumoren Familiengeheimnisse von großer Sprengkraft unter der Oberfläche) agieren Matthias Habich und Udo Samel als ungleiche Brüder und tragen den Abend, der dank ihrer Schauspielkunst keine Minute zu lang ist. Habich, Jahrgang 1940, glaubt man den jüngeren Bruder von der ersten Szene an, in der er lebenslustig verkündet, dass junge Leute wie er heute Drei-Tage-Bart tragen – einmal mehr Publikumsliebling nicht zuletzt wegen des hohen Bonmots-Anteils seiner Rolle und mit reichlich Applaus bedacht.