Foto: Yuri Englert in "Viel gut Essen" am Schauspiel Köln © David Baltzer
Text:Stefan Keim, am 20. Oktober 2014
Sibylle Berg wird immer galliger. Auch in ihrem neuen Stück „Viel gut essen“ ist nichts mehr vom schrägen Charme zu spüren, mit dem sie zum Beispiel in „Helges Leben“ ihren tiefschwarzen Humor ein wenig aufhellte. Es gibt im Kern zwei Spielebenen: Ein Chor von Hassbürgern skandiert, angeleitet von einem „General“, finstere Tiraden gegen Schwule, Lesben, Fremde, eigentlich gegen alle, die nicht so sind wie sie. Und ein einsamer, von seiner Familie verlassener Mann erzählt die Geschichte seines Scheiterns.
Dafür verlangt die Autorin in ihren Regieanweisungen zwei Bühnen. In die Halle Kalk hat Sara Giancane deshalb zwei weiße Spielräume gebaut, quasi Rücken an Rücken, und auch das Publikum geteilt. Entweder sehen die Zuschauer die paramilitärische Kampftruppe oder den Monologmann. Zwischendurch wechseln die Schauspieler die Spielflächen. Verstörend an Sibylle Bergs Stück ist die Radikalität, mit der sie Denkweisen auf die Bühne bringt, die aus den Kommentarspalten seriöser Onlinemedien meistens entfernt werden. Die Wutbürgermiliz erinnert unverhohlen an die SA, der verlassene Mann offenbart eine fast völlige Unfähigkeit zur Empathie. Sein Weltmüdigkeitsmonolog ist der weitaus stärkere Text, denn hier gelingt das scharfe Porträt eines verbreiteten Typus. Dieser seelenlose Technokrat des Lebens versteht überhaupt nicht, warum andere seine Kälte nicht ertragen.
Yuri Englert spielt ihn mit dem nötigen leisen Zynismus, mit Menschenverachtung in den Mundwinkeln. Auf ihn würde man sich gern konzentrieren, am liebsten in einem engeren Raum, in dem er einem unangenehm nah kommen könnte. Doch der bisher in Köln glücklose Hausregisseur Rafael Sanchez sucht nicht nach solchen Irritationen, sondern hält den Text auf bequemer Distanz. Englert muss ziemlich sinnfrei ein Netz aus Fäden ziehen, während die Kampftruppe homoerotische Spiele abzieht und am Schluss dämliche blonde Ponyperücken zu eng anliegenden Ganzkörperanzügen trägt. Das Verstörungspotenzial des Stücks geht in oberflächlichen Witzeleien verloren. Was besonders schade ist, da das Schauspiel Köln mit der Ehrenmordkomödie „Habe die Ehre“ schon eine viel interessantere Expedition in die politische Inkorrektheit unternommen hat. Dazu könnte Sibylle Bergs „Viel gut essen“ eine anregende Ergänzung sein.