Foto: Phädra (Constanze Becker) und Persea (Lili Epply), Berliner Ensemble © Julian Röder
Text:Martina Jacobi, am 26. Mai 2023
Als Koproduktion mit dem Berliner Ensemble zeigen die Ruhrfestspiele Nino Haratischwilis „Phädra in Flammen“. Nanouk Leopold inszeniert eine Uraufführung, die hinter der starken Textvorlage zurückbleibt.
„Phädra in Flammen“ ist Nino Haratischwilis erster Teil einer Trilogie über starke Frauen aus der Mythologie, in dem die Figuren tief in der Krise stecken, machtgeil oder noch nicht erwachsen geworden sind. Diese vorrangig „schwachen“ Seiten werden gegen die Lächerlichkeit von Herrschaft und Strukturen gespiegelt, die freie, individuelle Entscheidungsgewalt und Entfaltung im Kern ersticken.
Phädra (Constanze Becker) in den Wechseljahren brennt in Nanouk Leopolds Inszenierung vor Sehnsucht nach ihrem nicht gelebten Leben, dass nur in ihren Träumen stattfindet. Mit einem Weinglas in der Hand sitzt sie da, schwingt eine Hassrede auf ihre Ehe und ihr Leben und zählt alles auf, was sie sich bei Theseus (Oliver Kraushaar) von der Seele reden will. Schon lange schwellt in ihr eine Glut, die sie innerlich auffrisst, und Theseus im Bärenfell ist ein Held, den sie nicht will. Mit einem starren Bühnenbild aus drei großen Leinwänden, die wie eine Art Tempeleingang angeordnet sind, stellt Elsje de Bruijn diesen inneren Stillstand fühlbar dar: Darauf erscheinen mit harten Cuts Szenen von schwimmenden Blüten, kalter Architektur und Sandlandschaften (Video: Dann Emmen) – eine lebensunfreundliche, emotionsleere Welt, in der das Übermaß an Zeit, das Phädras Leiden dehnt, ihr wie Sand durch die Finger rinnt.
Der einzige Funke, der Phädras vor sich hinschwellende Glut entzünden kann, ist Persea (Lili Epply), die beim ersten Auftritt an Robin Hood erinnert, frech, unschuldig und ehrlich. Sie stellt als Heiratskandidatin für den älteren Sohn Demophon (Maximilian Diehle) die dröge Palastordnung auf den Kopf und beginnt ein Verhältnis mit Phädra. Auch Acamas (Paul Zichner), Phädras’ und Theseus’ jüngerer Sohn, der nicht die Männlichkeit erfüllt, die von ihm erwartet wird, findet in ihr einen gleichgesinnten Freigeist.
Bittere Ironie
Leopolds Inszenierung bürstet die bittere Ironie des Textes an die Oberfläche und arbeitet die Momente heraus, in denen die Figuren jämmerlich verloren dastehen, gescheitert an dem schwachen Drang, ihr eigenes „Ich“ zu erkennen. Das Publikum muss öfter lachen, projiziert doch der Text die Gefühlsirrungen auf eine Ebene, die man nur allzu gut nachempfinden kann. Viele übergreifende Themen werden in der Inszenierung angedeutet – Religion, politische Machtspiele – eine Schlange kündet das Unheil schleichend an und Hunde, erst als Welpen von Acamas aufgezogen, werden ausgehungert und abgerichtet, um dann das wiedereingeführte, vom Volk auserwählte Menschenopfer zu vollführen.
Der machtgeile Intrigant ist der Hohepriester Panopeus (Paul Herwig), von Haratischwili als „zu kurz gekommen“ beschrieben, hier wortwörtlich in zu großen Hosen, deren viel zu lange Beine er hinter sich herschleift. Er will in seiner Einsamkeit hoch hinaus und Phädra verwechselt sein Wichsen auf Theseus’ Abbild mit Liebe statt Abscheu. Panopeus führt alle an der Nase herum, baut nach und nach mit Eisenstäben seinen Käfig um die athenische Königsfamilie, und er ist es auch, der ekstatisch zum Höhepunkt kommt, wenn alle zuschauen, wie Persea von den Hunden zerfleischt wird, weil ihr Verhältnis mit Phädra entdeckt wird.
Starke Textgrundlage
„Phädra in Flammen“ ist verbal laut, wirkt in Leopolds Inszenierung darstellerisch aber doch steif und statisch, ein wenig wie eine Diashow mit eingeschobenen Texttafeln. Die stärksten Bilder vermittelt Haratischwilis Text selbst, gerade wenn am Ende das athenische Volk in Perseas Blut badet, eine perverse Vorstellung von gesellschaftlichem Trittbrettfahren und Schwarmverhalten. Ohne offensichtliche Referenzen lässt sich „Phädra in Flammen“ ins Hier und Jetzt verpflanzen und zeigt damit, dass gesellschaftliche Wirklichkeiten ihre Konstruktion in der Menschheitsgeschichte haben. Nahe gehen einem vor allem die intimen Szenen zwischen Phädra und Persea, die menschliche Zerbrechlichkeit zulassen und den Kampf der Figuren nach Identitätsfindung zeigen, wo Persea sagt, „verrate dich nicht, das ist mein Gebet an dich.”
Ist diese Phädra stark? Ganz am Ende, wenn alle anderen verrückt geworden sind – Acamas vergiftet die Hundewelpen, Demophon will auf den Thron verzichten und abhauen und Theseus versteht nicht, warum alle aus der moralischen Ordnung ausbrechen –, sitzt sie schweigend und apathisch da, bis sie in einem letzten Aufschrei nach leben und fühlen schließlich in Flammen aufgeht. Sie und alle anderen Figuren sind in dieser Inszenierung am Ende irgendwie menschlich am Leben gescheitert und sich selbst nicht näher gekommen. Was vielleicht weiterglüht ist Phädras Wut und ihr Verlangen nach Befreiung.