Foto: Szene mit Nektarios Vlachopoulos und Klaus Rodewald © Christian Kleiner
Text:Volker Oesterreich, am 3. November 2016
Nirgendwo sind die Herdplatten so heiß wie in den Gerüchteküchen. Und nirgendwo sonst verbrennt man sich so leicht die Finger und die Lippen wie in solchen Lokalitäten, in denen es brodelt und stinkt. In Gerüchteküchen werden Menüs für die schlimmsten Stammtische und (a)sozialen Netzwerke zubereitet, wobei sich die Köche an Rezepten orientieren, die besonders viel Pfeffer oder Chili vorschreiben, wenn rassistische Ressentiments, Verschwörungstheorien oder plumpe Hetze aufgetischt werden.
Seit die Debatte über Asylsuchende nicht mehr von einer Sympathiewelle getragen wird, sondern ein dumpfes Gefühl der Angst regiert, schießen die Gerüchte noch mehr ins Kraut. Grund genug für den Kulturjournalisten Peter Michalzik, mit seinem Stück „Spiel ohne Grenzen“ gegenzusteuern. Er tut dies nicht in Form einer drögen Belehrungsetüde. Stattdessen setzt Michalzik auf die Wirksamkeit seines fast schon kabarettistischen Sprachwitzes. Uraufgeführt wurde sein „Theater der Gerüchte“, so die Genrebezeichnung, unter der Regie des Mannheimer Schauspiel-Intendanten Burkhard C. Kosminski im Studio des Nationaltheaters.
Der Titel verweist auf die alte Fernseh-Show „Spiel ohne Grenzen“, ausgestrahlt von den 1960er bis zu den frühen 1980er Jahren, also zu einer Zeit, als das harmlose Entertainment-Format noch die Funktion eines wärmenden Kaminfeuers für die ganze Familie hatte. Tempi passati! Heute geht es im öffentlichen Diskurs nicht mehr gefühlig zu, sondern es wird in den diversen Gerüchteküchen gehetzt und gelogen, dass sich die Haare sträuben und die Balken biegen. Genau das führt die kleine Mannheimer Produktion vor Augen. Klaus Rodewald parodiert jenen Moderatoren-Typus, der das Charakterfach „Schleimscheißer mit Charme“ beherrscht. Er tut dies perfekt grinsend. Im Gespräch mit einem Gerüchte-Experten, gespielt vom spitzfindig argumentierenden Sven Prietz, tischt der Moderator ein Gerücht nach dem anderen auf, fast alle mit Mannheimer Lokalkolorit. Beispielsweise auch die Mär, dass Anfang des Jahres am Mannheimer Wasserturm eine junge Frau vergewaltigt worden sein soll. Das wurde seinerzeit heiß diskutiert, stellte sich aber als ausländerfeindliche Lüge heraus.
Konzeptionell folgt der Abend jener Linie des migrantischen und postmigrantischen Theaters, die Shermin Langhoff am Berliner Maxim-Gorki-Theater pflegt. Michalzik und Kosminski imitieren sie nicht in plumper Weise, sondern zappen sich mit Niveau durch lauter Mannheimer Befindlich- und Empfindlichkeiten. Nektarios Vlachopoulos gibt dem Ganzen als Slam Poet eine höhere sprachliche Weihe, und das Trio Belal Mahfouz, Emmanuel Owunungo und Adnan Rjabi verdeutlicht filmisch, rappend oder erzählend, wie groß die Bandbreite von Flüchtlingsschicksalen, von individuellen Erfahrungen, Freuden und Verbitterungen in Mannheim ist. 170 Ethnien sind hier zu Hause – und noch viel mehr Gerüchte.