Foto: Der "Schönheitsabend" auf Kampnagel. Vincent Riebeek und Florentina Holzinger in Aktion © Karolina Wiernik
Text:Dagmar Ellen Fischer, am 20. August 2015
Gern zeigen sie das Gleiche: Penetration per Dildo, Nacktheit als Kostüm und reichlich Turnerei — seit 2010 werden Florentina Holzinger und Vincent Riebeek als Frischfleisch der Tanzszene gehandelt. Unterscheiden kann man die Stücke an ihrer Rechtfertigung, denn es muss jeweils ein anderer tanzhistorischer Bezug herhalten. Für den „Schönheitsabend“ hat das Duo nun Vaslav Nijinsky sowie Anita Berber und ihren Tanzpartner Sebastian Droste bemüht, innovative, skandalerprobte Persönlichkeiten zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
Den dreigeteilten Abend überschreiben Holzinger und Riebeek mit „Tänze des Lasters“, „Tänze des Grauens“ und „Tänze der Ekstase“. Im lasterhaften ersten Drittel wird ein Duett aus „Shéhérazade“ nachempfunden: Beide starten zur Original-Musik von Rimski-Korsakow in orientalisch anmutender Verkleidung und lehnen sich auch in Bewegungsmotiven an die tänzerischen Vorbilder Ida Rubinstein und Vaslav Nijinsky an, karikieren indes das Pathos der über einhundert Jahre alten Gesten und lassen auch durch das Fehlen von Tanztechnik erkennen, dass sie weit über dieser Art antiquierter Ästhetik stehen. Nach einer kurzen Unterbrechung, hervorgerufen durch das Ablegen der Kleidung, folgt eine Showeinlage, die zwischen holperigem Sex, schlechter Porno-Nummer und Pole Dance rangiert, bemerkenswert hier die gründliche Nutzung des Raumes, ohne die Dildo-Penetration unterbrechen zu müssen.
Der zweite Akt wird (ebenso wie der erste) durch eine kurze verbale Einführung vom künstlerischen Leiter des Sommerfestivals András Siebold initiiert, der dem Publikum ohne Vorkenntnisse in Ballettgeschichte auf die Sprünge hilft: Ging es im ersten Teil um eine Sultana, die sich während der Abwesenheit des Gatten einen Sklaven greift, der ihr körperlich zur Verfügung stehen müsse, so bezöge sich der mittlere Teil des Abends auf den letzten Auftritt Nijinskys vor seinem Abdriften in den Wahnsinn. Wer jedoch über keine zusätzlichen Informationen über diese denkwürdige Vorstellung 1919 in einem Schweizer Hotel verfügt, versteht nicht, warum Florentina Holzinger — in der Rolle Nijinskys — eine gefühlte Ewigkeit auf dem Stuhl sitzt, in der Nase bohrt und wie ein bockiges Kind agiert, bevor sie dann jenen Stuhl brüllend und grunzend zerlegt und sich kreischend über den Boden wälzt… nur wenige im Publikum werden den unmotivierten Bühnen-Ausraster mit Nijinskys Verzweiflung über das Grauen des Ersten Weltkriegs in Verbindung bringen. Ob der Geist Anita Berbers zu jenem Zeitpunkt schon hätte einschweben sollen?
Beim dritten und letzten Teil hilft jedoch auch kein Wissen. Um eine heutige Beziehung zwischen Herrin und Sklave soll es gehen, doch die Paarung scheint gestört. Eine englisch ins Mikrofon genuschelte Geschichte wird von den erfolglosen Versuchen Holzingers begleitet, Riebeek zu fesseln… Die Ekstase bleibt ebenso aus wie ein erkennbares Endes des Abends: Holzinger rauscht mit beleidigtem Gesicht ab, Riebeek muss sich von einem Techniker aus den Schlingen helfen lassen, und der verdutzte Siebold kann seine Premieren-Blumen nicht loswerden. Später stellt sich heraus: Die beiden Darsteller hatten sich hinter der Bühnen derart gestritten, dass das letzte Drittel nicht wie geplant aufgeführt werden konnte. Das führte zu einer halbstündigen Verlängerung des auf nur 60 Minuten veranschlagten „Schönheitsabends“ und damit zu einem Problem für die Folgeveranstaltungen des Festivals… Der dünne Applaus verzögerte den Ablauf nicht weiter, denn ein großer Teil des Publikums war am Schluss ohnehin längst weg. Zu Honorieren wäre höchstens, dass sich der Dilettantismus des Inhalts organisch auf die Form des Abends hatte übertragen lassen.