Foto: Paula Murrihy (Pénélope; im Anzug vorne sitzend) und Freier © Barbara Aumüller
Text:Roberto Becker, am 2. Dezember 2019
Was am Ende passiert, ist ganz großes Opernkino. Wenn Pénélope ihren Mann endlich erkennt, ihre zudringlichen Freier los ist und der zurückgekehrte Hausherr seine Rache so blutig wie kalt serviert hat. Es liegt auf der Hand, dass die Beziehungsprobleme für das prominente Paar jetzt erst anfangen. Da kann Fauré das Orchester für das Finale seiner einzigen, 1913 in Monte Carlo uraufgeführten Oper noch so gewaltig mit dem dickem cineastischen Pinsel auftragen lassen. Dass dieses ausufernde Finale von Ferne an den Einzug der Götter in Wahlhall am Ende des Rheingolds erinnert, ist gar nicht so abwegig, auch da ist der Triumph ja brüchig und birgt schon den Keim des Scheiterns.
Pénélope jedenfalls hat zwanzig ihrer besten Jahre mit Warten auf ihren Mann zugebracht. Der war erst zehn Jahre im kriegerischen Auslandseinsatz vor Troja und kam dann noch einmal weitere zehn Jahre vom rechen Heimweg nach Ithaka ab. Irgendwie schien er daheim für (fast) alle Welt verschollen. Eine Handvoll gierig penetranter Freier war scharf auf sein Erbe. Jeder von denen wollte die vermeintliche Witwe heiraten, damit er an den Thron herankam. Bis dahin verprassten sie in schöner Eintracht schon mal so viel wie möglich davon.
Für Pénélope nahm das Warten und das listige Hinhalten der Freier längst den zentralen Platz in ihrem Leben ein, den vorher Ulysse hatte. Vor zwanzig Jahren hatte sie keine Wahl, und jetzt wohl keine echte Chance für einen Neuanfang. Eine Beziehung mag sich schon schwierig gestalten, wenn sie sich aufs Wochenende beschränkt. Aber mit zwanzig Jahren Abwesenheit ist es keine mehr.
In seinem Libretto für Gabriel Faurés (1845-1924) späten Versuch mit der Gattung Oper hat René Fauchois bei seinem Homer-Destillat die göttliche Mitwirkung von Athene und auch den Odysseus-Sprössling Telemach weggelassen. Das vereinfacht den berühmten historischen Plot und erlaubt es, den Focus stärker auf die allein gelassene Frau zu konzentrierten. Macht das Ganze dem Aufspüren von heute Relevantem zugänglicher. Natürlich nicht eins zu eins als Geschichte von nebenan. Eher als ein Laborversuch. Als musikalische Komponente zu Botho Strauss’ viel später geradezu ausgemaltem „Ithaka“.
Genau da setzen die junge Regisseurin Corinna Tetzel und ihr Team (Bühne: Rifail Ajdarpasic, Kostüme: Raphaela Rose) an. In ihren grauen, nur leicht variierten Business-Anzügen kreuzen die Freier wie junge Bad-Banker in Mainhattan auf und benehmen sich wie bei einer außer Kontrolle geratenden Afterwork-Party. Äußerlich hat sich die eigentliche, von den Fremden gleichwohl nicht mehr respektvoll behandelte Chefin deren Outfit angepasst. Wohl, um einzelne Attacke abzuwehren und der Dauerbelagerung auf einer vermeintlichen Augenhöhe standzuhalten. Antinoüs (Peter Marsh), Eurymaque (Sebastian Geyer), Léodès (Ralf Simon), Ctésippe (Dietrich Volle) und Pisandre (Danylo Matviienko) haben in der Gruppe gleichwohl alle eigenes Profil, jeder irgendein Talent, mit dem sie ihre Penetranz untermauern. Vokal sind auch diese Nebenrollen – wie in Frankfurt üblich – handverlesen besetzt.
Die Bühne mit dem absenkbaren Neonrahmen als Himmel, der transparenten vierten Wand, der Spielfläche auf der tristen Dachterrasse mit Parabolantenne und zwei Auf- bzw. Abgängen und einer schrägen Projektionswand im Hintergrund, die zuweilen die einsame Königin ohne ihre Belagerer zeigt, ist eine eindrucksvolle Melange aus exemplarischer Zeitlosigkeit und antiker Archaik. Der Chor der Hirten marschiert hier an der Rampe auf. Es hat Poesie, wenn ein blutjunger Hirte (Luise Rabe vom Kinderchor der Oper macht das mit sicherer Stimme) weiße Rosen (von denen im Text die Rede ist) in aufgestellte Weinfalschen steckt und doch am liebsten die Pfeile abschießen würde, die er hier nur wirft. Da erinnert die Inszenierung für einen Moment an den „gestrichenen“ Telemach der historischen Vorlage.
Es gehört zum psychologischen Unterbau der Geschichte, dass die Amme Euryclée (optisch zu jung, aber mit ihrem dunklen Mezzo ideal: Joanna Motulewicz) und der Hirte Eumée (als hätte er äußerlich mit dem König das Auftreten getauscht: Božidar Smiljanić) den König vor seiner Frau erkennen bzw. er sich ihnen zu erkennen gibt. Die Regisseurin erspart uns das Hantieren mit dem sagenhaften Bogen, den nur sein Besitzer (auch zwanzig Jahre gealtert ohne Probleme) zu spannen vermag, ebenso wie das Blutbad, in dem die Freier enden. Hier schwankt zunächst der Boden, bevor sich ein metaphorischer Riss (in der Dachterrasse) auftut. Doch wird der Untergang der Freier zu einem eher banalen Abgang. Und auch die Entfernung zwischen dem einst so eng verbunden Paar, wird in der einen Szene, wenn sie nebeneinander stehen, deutlicher, als beim beiläufigen Abgang von Ulysse und dem einsamen Zurückbleiben seiner Pénélope. Da bleibt die hochästhetische Szene hinter ihren Möglichkeiten zurück.
Immerhin setzt die Regie voll auf die Wirkung der Musik. Die ist bei der Dirigentin des Jahres und GMD der Oper Nürnberg Joana Mallwitz und den Musikern des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters in den allerbesten Händen. Im Unterschied zu dem einen oder anderen Zuschauer fremdelt im Graben offenbar niemand mit der französischen Diktion der Musik. Das fabelhafte Protagonisten-Ensemble wird von der sich sicher beredt aufschwingenden Paula Murrihy als Pénélope und dem Tenorstrahlemann Eric Laporte als Ulysse überzeugend angeführt und mitgerissen. Auch wenn für die beiden, denkt man die Geschichte weiter, die Probleme erst beginnen.