Umso wichtiger war die gestrige Premiere, die von WUPPERwerft für den Stream ab 30. Januar mitgeschnitten wurde – und der man, auf der Bühne, keine Corona-Einschränkungen anmerkte. Nora Abdel-Maksouds 2018 in Zürich uraufgeführter Text bedient sich lustvoll an einem Thema der Stunde, der Political Correctness. Svenja, Hospiz-Clown und verhinderte Unterhaltungskünstlerin, macht sich in einem Video-Blog lächerlich mit dem Versuch, einen politisch korrekten, sozusagen humanistischen Humor zu etablieren, den sie Humornismus nennt.
Genau das gelingt der Autorin. Abdel-Maksoud macht sich politisch korrekt über Political Correctness lustig. Ihre kluge Farce kommt in Fahrt, als Svenja erfährt, dass die „Goldene Möwe“ zur Pacht ausgeschrieben ist, ein bürgerliches Lokal, vor allem aber der Kleinkunsttempel der Kleinstadt, die in Wuppertal nicht „Blinden“ heißt, sondern „Barmen“. Svenja glaubt, durch die Pacht endlich eine Bühne für sich finden zu können. Ihre Bewerbungspräsentation geht allerdings gründlich schief, weil sie so gar nicht politisch korrekt abläuft. Grund: „Der Don“, eine Art innere Stimme, die sich aus Alltagsrassismus, Akademiker-Standesdünkel, Sehnsucht nach Bedeutung und allgemein respektierter Arbeit, krankhaftem Ehrgeiz und der Bitterkeit der zu kurz Gekommenen speist.
Das Spiel beginnt. Zwei weitere Figuren kommen hinzu: Püppi, die älteste Bewohnerin im Hospiz, Uralt-Kommunistin und Besitzerin der „Möwe“ samt Einliegerwohnung, die gerne eine „Kita für alle“ aus dem Lokal machen möchte; und Aram, ein Werbefachmann mit Yoga-Abo und SUV, der undercover als südosteuropäischer „Dienstleistungsproletarier“ unterwegs ist und sich im eigenen Spiel verfängt. Aus dieser Konstellation saugt die Autorin 90 Minuten lang überraschende Wendungen und sprachliche Finessen, bis schließlich Püppi von Svenja mit Arams Auto überfahren wird. Vor allem aber legt Abdel-Maksoud die Political Correctness als Abgrenzungs- und Ausgrenzungsstrategie bloß. Zumindest in der auf der Wuppertaler Bühne gezeigten Gesellschaft will eigentlich niemand, dass alle Menschen gleiche Zugänge zu allem haben. Die Feindbilder müssen bleiben, für das eigene Versagen muss es einen Sündenbock geben, der nicht man selbst ist und im Zweifelsfall ist mein eigenes Wohlergehen doch wichtiger als Gerechtigkeit für alle. Und es gibt sie noch, die Klassengrenzen. So fragt „der Don“ ins Publikum: „Wie viele Freunde haben Sie, die keine Akademiker sind? Und Sie?“ Und ich denke mir: Aber ich habe doch den… und die… Und bin damit bereits in die Falle gegangen. „Café Populaire“ ist also vor allem eins: Ein Finger in der Wunde aktueller deutscher Befindlichkeit.
Ein Stück ist der Text allerdings nur bedingt. Es scheint ein wenig an dramatischer Form zu fehlen, was andererseits bei so viel Witz und Treffsicherheit eine lässliche Sünde scheint. Maja Delinic begegnet dieser Schwäche, in dem sie ihre Inszenierung, unterstützt vom Live-Musiker Clemens Gutjahr, bewusst rhythmisiert. Von dem Protestgeschrei-Ringelreihen zu Beginn bis zum hinreißend im Ensemble gesungenen „Spinning Wheel“ am Ende sind immer wieder Versammlungs- und Ruhepunkte gesetzt. Die pastellfarbenen Boxsack-Reihen von Ria Papadopoulou setzen dazu einen stimmigen, wenn auch etwas beliebig wirkenden optischen Rahmen. Und es wird leidenschaftlich Theater gespielt. Stefan Walz bleibt als Püppi bei aller Skurrilität angenehm schlank und versammelt, bis er im Schlusssong aus sich heraus gehen darf, Konstantin Rickert bewahrt seinem Aram eine gewisse Sprödigkeit (fast möchte man von bodenständiger Flüchtigkeit sprechen), Julia Meier schenkt ihrem Don bei aller maliziösen Eleganz und Eitelkeit eine kleine Verletzlichkeit. Und Madeline Martzelos glaubt man tatsächlich alles, das Liebe und das Gemeine, das Pathetische und das Kleine. Von Anfang an tut da jemand so, als ob, weiß es und fühlt sich dabei schrecklich unwohl. Und macht das offensichtlich schon länger, was der Grund der persönlichen Misere ist. Nicht herausfinden wollen, wer man ist, um mit gutem Gewissen so tun zu können, als arbeite man daran, der oder die zu sein, der man (oder frau) sein will. Auch das eine gesellschaftliche Misere unserer Zeit. Aber vielleicht nicht nur unserer.
Ja , es tat schrecklich gut, wieder mal live im Theater zu sein.