Foto: Gruppenbild mit Flügelhelm: Sólveig Arnarsdóttir, Christian Erdt, Roland S. Blezinger und Wolfgang Vater in Elfriede Jelineks "Rein Gold" am Staatstheater Wiesbaden. © Karl-Bernd Karwasz
Text:Annettte Poppenhäger, am 15. September 2014
Ein halbfertiger Traum in Pink, das ist das neue Eigenheim der Götterfamilie im Staatstheater Wiesbaden. Walhall – in Tina Laniks Inszenierung und Stefan Hageneiers Ausstattung geschrumpft auf Spielzeugformat.
Mit „Rein Gold“, Elfriede Jelineks Bühnenessay (eine bis dahin weitgehend unbekannte Gattung), eröffnet die erste Spielzeit unter dem neuen Wiesbadener Intendanten Uwe Eric Laufenberg. Dauerte die erste szenische Lesung des Werkes vergangenes Jahr in München noch knapp sieben Stunden, kommen die Hessen nun recht kurzweilig mit knapp zwei davon. Natürlich dient Wagners „Ring des Nibelungen“ als Vorlage, und es geht auch nicht ohne musikalische Begleitung auf dem Klavier und ohne echten Wagner-Gesang. Der singende Wotan (Wolfgang Vater) und seine Lieblingstochter Brünnhilde (Stella An auch als treffliches Waldvögelein) treten im altgermanischen Kostüm wie aus dem Comicstrip auf: federgeschmückter Helm, Schild, Speer und Sandalen. Das schafft Distanz.
Auch die anderen Figuren sind überzeichnet: Wotan mal als Bankmanager, mal als Conferencier im rosa Smoking. Held Siegfried in Sporthose und Hipster-Brille, Brünnhilde als Girlie im gepunkteten Hängerkleidchen (witzig-charmant: Sólveig Arnasdóttir), die schreibende, intellektuelle Tochter (Kruna Savic) als Alter Ego der Autorin mit Faltenrock und weißer Bluse. Die liefert sich später mit aufgesetztem Jelinek-Schwellkopf ein Streitgespräch mit dem Komponisten, ebenfalls mit Schwellkopf kenntlich gemacht.
Der Text schließt in Jelineks assoziativer Manier Wagner, Karl Marx und unser gegenwärtiges Finanzsystem kurz. Brünnhilde erzählt gleich zu Beginn von ihrem „Papa“, dass er sich diese Burg habe bauen lassen und jetzt den Kredit nicht zurückzahlen könne. Eine Situation wie in jeder zweiten Familie, heißt es da. Das Haus, ein Finanzgrab und zugleich viel mehr als das: ein „Haus Deutschland“, mit Räumen, zu denen der Zutritt verboten ist wie bei der abgefackelten Bleibe der NSU-Terroristen. Das schmucke Eigenheim geht schließlich auch den Bach runter: Die ewig gestrige braune Soße drängt an die (Bühnen)Oberfläche und bringt das Haus in Richtung Zuschauer ins Rutschen. Das Publikum hält den Atem an: es grummelt, kracht und der rosafarbene Spießer-Traum bleibt erst im letzten Moment leicht gekippt am Bühnenrand hängen. Das bringt Szenenapplaus vom überraschten Wiesbadener Publikum.
Hier kommen die Parallelen zum NSU (Nationalistischer Untergrund) zum Zug. Darum ist Pink die bestimmende Farbe, darum wird die Paulchen-Panther-Melodie aus dem NSU-Bekennervideo gesungen. Im Interview im Programmheft sagt die Nobelpreisträgerin, dass in ihrem literarischen Zugang der NSU in gewisser Weise eine Art Parodie auf den „Ring“ sei. Ein brennender Wohnwagen als Parodie auf die brennende Burg Walhalla, so Jelinek, die gerade auch an einem Text zur beharrlich schweigenden Beate Zschäpe schreibt. Im letzten Teil des Abends jedoch verliert Tina Laniks stimmige Regie an Tempo und Kraft, die Textlitanei ermüdet. Dabei besteht doch aller Grund zum gewaltigen Grusel. Der Wiesbadener Auftakt – ein Signal, das auf weitere akute, witzig-verblüffende Gegenwartserkundungen neugierig macht.