Foto: "Das Bildnis des Dorian Gray" als Ballett am Theater Augsburg © Nik Schölzel
Text:Vesna Mlakar, am 2. Dezember 2013
Faustisch, die Idee von ewiger Jugend und Schönheit, der keine Untat des Lebens etwas anhaben kann. Und der Gedanke daran bleibt verführerisch! Auch wenn Oscar Wilde schon 1890 der in Dekadenz schwelgenden Gesellschaft des Fin de Siècle mit seinem Roman „Das Bildnis des Dorian Gray“ neben einer Lösung auch deren unausweichliches Grauen in eindrücklicher Prosa präsentierte (Sittenskandal und Moralprozess inklusive).
Sein Buch wurde seither oft für Film und Theater bearbeitet. Seltener dagegen kommen Tänzer mit dem Stoff in Berührung – obwohl Alter bzw. körperliche Verletzlichkeit gerade ihnen schnell zum (Karriere-)Verhängnis werden können. In Zeiten fataler Einsparungen und drohender Tanzensembleauslöschungen ist es bemerkenswert, dass ausgerechnet kleinere Kompanien wie Schwerin (Marc Bogaerts, 2004), Würzburg (Anna Vita, 2009) und nun das Ballett Augsburg sich an das abgründige Thema wagen. Am 1. Dezember 2013 war Premiere im Großen Haus.
Grays Geschichte hatte Tanzchef Robert Conn schon lange auf der Wunschliste. Seinen choreographischen Verbündeten – erfahren in Sachen Handlungsballett und vertraut mit dem Erzählpotenzial klassischen Schrittvokabulars – fand er aber erst in Michael Pink, ehemals Solist des English National Ballet und seit 2002 künstlerischer Leiter des Milwaukee Balletts (USA). Tatsächlich spornte dessen knapp zweistündige Wilde-Adaption die Interpreten – darunter besonders die Männer Patrick Howell in der Titelrolle, Riccardo De Nigris als Maler Basil Hallward und Jacob Bush (James Vane: Bruder der unglücklichen ersten Geliebten Grays, Sibyl – sensibel getanzt von Coco Mathieson) zu Höchstleistungen an. Um der fein trainierten und spielfreudigen Truppe allerdings wahre Charaktere auf den Leib zu schneidern, fehlten seiner insgesamt recht geradlinigen Inszenierung unerwartete Spitzen oder pfiffige Kanten.
Dem Publikum gab eine parodistische Einlage – „Romeo und Julia“ als Ballett im Ballett (einmal aus Zuschauer-, dann aus Kulissensicht) – Anlass zum Lachen. Der Rest des Zweiakters ließ sich ebenso mühelos wie unaufgeregt verfolgen: Klar strukturiert veranschaulichen in gut gestrickter Szenenabfolge ausgesuchte Episoden wie die Eroberung und Verstoßung Sibyls oder (in sich ähnelnden Tableaus) zunehmend exaltiertere Society-Parties die schicksalshafte Existenzzerrüttung des Beaus. Trotz seines Scheiterns, Tote und Schuld zu verdrängen, hüllt er seinen Körper bis zuletzt in unschuldiges Weiß.
Sein quasi mephistophelischer Verführer ins moralisch Bodenlose ist Toomas Täht – mittels wohlplatzierter Worte, also ohne die Ausdrucksmöglichkeiten des Tanzes zu nutzen. In Stefan Morgensterns ansprechender, anhand diverser Versatzstücke zwischen Künstleratelier und Gesellschaftssalon changierender Bühnenatmosphäre, redet er dem reichen Naivling Dorian Gray Oberflächlichkeit ein und die Vernunft aus. Anfangs zu leisen, melodiösen Klängen des Auftragskomponisten Tobias PM Schneid, der im zweiten Teil seiner ersten Ballettpartitur das Orchester der Augsburger Philharmoniker manchmal in Bezug auf das Ballettgeschehen grundlos aufgeregt agieren lässt.
Dennoch gelingt dem Produktionsteam um Michael Pink ein runder Tanzabend, der ohne mediale Unterstützung den ins gemalte Porträt verlagerten Verfallsprozess des Protagonisten Gray bewältigt! In einem von Selbstzweifeln motivierten Solo Howells, im beziehungsweise mit dem rollenden Gemälderahmen bündelt Pink auch die sonst wenig spürbare innere Anspannung seiner Hauptperson: ein einprägsamer Kulminationspunkt, wenige Szenen vor dem finalen Bild-Selbstmord.