Foto: "Three Tales" im #Aktionsraum Bühne' der Wuppertaler Oper © Uwe Stratmann
Text:Andreas Falentin, am 19. September 2016
Steve Reich und Beryl Korots „Three Tales“ ist keine Oper, eigentlich auch kein Musiktheater, sondern am ehesten ein Filmkonzert. Drei historische Ereignisse, die sich am ehesten unter der Klammer „Fortschritt“ fassen lassen, werden hier filmisch und musikalisch aufbereitet und reflektiert: der Absturz des Mega-Luftschiffes „Hindenburg“ 1937, die amerikanischen Atomversuche, die das Bikini-Atoll unbewohnbar machten und das Klonen des Schafes Dolly 1996. Wesentliche Mittel der Komposition auf sind Wiederholung und Phasenverschiebung auf allen Ebenen. Korot sampelt ihr Bildmaterial immer wieder neu, streut Sprachfetzen, Zahlen, Untertitel und graphische Elemente ein, referiert, deutet Bündelung von Fakten an, erzählt bewusst nicht. Reich – er wird am 3. Oktober 80 Jahre alt, die Aufführung trägt durchaus Hommage-Charakter – hat dazu eine für Streichquartett, je zwei Klaviere, Vibraphone und Schlagzeuge, zwei Soprane und drei Tenöre instrumentierte Musik geschrieben, die Inhalte und Strukturen offen legt und eher reflektiert als kommentiert.
Das trotz seiner nur knapp einstündigen Länge durchaus monströse Stück wurde 2002 bei den Wiener Festwochen uraufgeführt, seither auf Festivals des Öfteren, in einem Opernhaus noch nie gezeigt. Mit einer performance wie dieser eine neue Intendanz zu beginnen, zumal in Wuppertal mit seiner schwierigen jüngeren Musiktheatervergangenheit, lässt sich durchaus als Statement lesen. Zumal, wenn der Intendant, seines Zeichens eigentlich Dramaturg, für die szenische Einrichtung persönlich verantwortlich zeichnet, was hier vor allem meint: die Verortung im Opernhaus.
Der Zuschauerraum bleibt leer an diesem Abend. Schneider setzt sein Publikum auf weiße Drehstühle in den „Aktionsraum Bühne“ hinein. Dieser ist als schmucklose Blackbox zugerichtet, die aber durch unaufdringlich raffiniertes Lichtdesign durchlässig und nie klaustrophob wirkt. „Hindenburg“ lässt Schneider auf die Brandmauer projizieren, „Bikini“ auf das Portal, unter dem die Musiker stehen und sitzen, „Dolly“ desgleichen, allerdings bei hochgefahrenem Vorhang und sachlich erleuchtetem Zuschauerraum. So bleibt „Hindenburg“ reizvolles historisches Referat, wird „Bikini“ subtile, aber klare Anklage und „Dolly“ zum großen Fragezeichen, zum Appell an den Zuschauer, Haltung zu beziehen und zu vertreten. Wo sind die Grenzen für den menschlichen Geist und Tatendrang? Darf es sie, muss es sie geben? Der Wuppertaler Abend beantwortet diese Fragen nicht, sondern stellt sie nachhaltig. Reichs Komposition wird differenziert und dringlich artikuliert. Jonathan Stockhammer modelliert besonders den von Ferne an Wagners Nibelheim erinnernden Abgesang auf das Industriezeitalter in „Hindenburg“, die ironische Melancholie, besonders der Streicher, in „Bikini“ und die furiose Ratlosigkeit in „Dolly“ fast unangenehm feurig heraus. Die Musiker folgen mit spürbarer Begeisterung.
Begonnen hatte der Intendant und Regisseur höchstselbst mit einem charmanten Miniaturpaukenschlag. Als die Zuschauer bereits saßen, führte er souverän und charmant satzkurz in Steve Reich und die Minimal Music ein und animierte das Publikum zur Aufführung von Reichs „Clapping Music“, einem kurzen Stück für klatschende Hände, in dem der Vibraphonist Benedikt Clemens als gleichfalls klatschender ‚Solist‘ die Idee der Minimal Music und die Gestaltungsmöglichkeiten des Phasing sinnlich vorführte. Wie gesagt: ein Statement, das große Hoffnung macht für die Theaterstadt Wuppertal.